Der Kurzen-Hansl

Es muß gesagt werden, daß die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen im Schnalstale eine geldarme Zeit war. Mancher Familienvater und mancher arme Schlucker fanden tatsächlich keine andere Möglichkeit, zu etwas Geld zu kommen als durch den Schmuggel. Die Opfer an Weg, Gefahren und Wagnis erforderten wahrhaftig einen todesmutigen Einsatz. Einer der verwegensten Schmuggler war ohne Zweifel der Kurzen-Hansl. Oft nahm er seinen Schmuggelweg über die Similaunhütte. Auf dem Rückweg legte er besonders durch das Tisental heraus die Saccharinpackungen zu unterst in sein Ruckkörblein und bedeckte sie mit einem Haufen von "Käsedisteln", das sind stachelige Kratzdisteln, zur Tarnung. So kam er eine Zeitlang glücklich durch. Bald aber sprach man etwas zu laut herum, daß man vom Kurzen-Hansl Saccharin zu kaufen bekommt. Das kam den Finanzern zu Ohren, und sie wurden auf ihn aufmerksam. Begegnete er den Finanzern auf etwas verdächtigen Wegen, so wurde er gleich auf den Inhalt seiner Taschen untersucht und etliche Male als Saccharinschmuggler angetroffen. Das eine Mal bekam er Kerkerhaft im Bezirksgericht zu Schlanders, das andere Mal gar in Bozen. Als er nach der Verbüßung der Kerkerhaft in Bozen heimkam, pflegte er schalkhaft zu sagen: "In Bozen, ja da ist ein feines Sitzen, nobel und fast ehrenvoll. Aber in Schlanders ist es ein übles Ding!"

Einmal war der Kurzen-Hansl "voll Saccharin". Er ging zu Fuß die weite Schnalser Straße hinaus bis "Stein", dort, wo heute der Tunnel ist. Er wollte im Vinschgau Saccharin verkaufen und gutes Geschäft machen. Tausend Stern eini, da wurde er von den Finanzern geschnappt, und er solle sofort seine Taschen ausräumen. Hans war nicht vom Schreckbichl. Gut, er wolle ihren Befehlen nachkommen,  aber niemals hier auf offener Straße, sondern in der Kaserne zu Karthaus. Die Finanzer konnten ihm nicht widersprechen und waren einverstanden. Sie hatten aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Hansl kehrte mit den Finanzern um zum dreistündigen Weg nach Karthaus. Hansl griff aber bald so schleunig aus, daß die jungen Finanzer unmöglich Schritt halten konnten. Hans war damals schon gegen die Sechzig. Bald war er aus ihren Augen. Sooft er hinter einer Wegbiegung verschwand, entledigte er sich seiner Saccharinpackungen. Als sie endlich in der Kaserne zu Karthaus ankamen, konnte der Kurzen-Hansl mit aller Ehrlichkeit beweisen, daß er von Saccharin aber nicht ein Päckchen in der Tasche habe. Dieses Meisterstück gab er in Gesellschaft noch oft zum besten.

Quelle: Die Kartause Allerengelberg im Schnalstal, Rudolf Baur, Bozen 1970, S. 94.