Sterzingermoos
(Das Mädchen auf Reifenstein)

Die Nacht ist schwül, es reiten Nebelschatten
Den blassen Vollmond bergend auf und nieder,
Bald Licht bald Nacht schleicht hin auf feuchten Matten,
Wie Sagenbilder und verschollene Lieder,
Die langsam bei Sankt Zeno dort verschwinden,
Ein Mädchen steht auf Reifenstein in Winden.

Kein Baum, der Frucht und Rast dem Mägdlein böthe.
Nur VBnsenblätter in der Pestluft hangen,
Und schrillernd gurgeln Wassermolch und Kröte,
Und wilde Larven hält der Sumpf gefangen,
Draus strecken Mädchenköpfe sich, beweglich
Und jammern geisterhaft dahin und kläglich:

Steh stille Maid, und lasse dir erzählen,
Verscherzend Würde und die Pflicht der Frauen,
Versäumten wir den Gatten uns zu wählen,
Und ungesegnet mußten wir ergrauen,
Und hier zur Straf den faulen Sumpf umspannen.
Das Mädchen kreuzet sich - und flieht von dannen.

Quelle: Die Alpenzither aus Tirol, Gedichte und Erinnerungsblätter aus den Jahren 1848 und 1849, Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Innsbruck 1855, S. 151