Die Mutter und ihr dummer Sohn.

Die Mutter und ihr dummer Sohn, Wilhelm Roegge

Textillustration von Wilhelm Roegge

Gern setzen sich an langen Winterabenden die südslawischen Bauern um das offene Herdfeuer, und wenn dann der süße Raki (Pflaumenbranntwein) die Runde macht, so lösen sich die Zungen und allerlei Geschichten von schlauen Räubern, die auch kühne Helden waren, von schönen Vilen, die auf weißen Rossen durch die Berge reiten, werden erzählt; aber auch viel schnurrige Schwanke und lustige Geschichten, wie sie gerade in diesem oder jenem Torfe im Umlauf sind.

Hört auch einmal zu!

Eine Mutter hatte einen Sohn, mit dem sie ihr wahres Kreuz hatte, denn er war wohl recht gutmütig, aber die Dummheit selbst.

Einst ging sie zur Kirche und sagte zum Sohne: "Bleib du inzwischen zu Hause und gib acht, daß die Suppe nicht aus dem Topfe überläuft."

Hans blieb zu Hause; als aber die Suppe qualmte und brodelte und schon überzulaufen anfing, rannte unser Hans spornstreichs zur Kirche und schrie aus Leibeskräften: "Mütterchen, komm nach Hause, die Suppe geht über!" Die Mutter schalt ihn aus und sagte: "Du bist ein rechter Einfaltspinsel; wenn du mir ein andermal etwas zu melden hast, so komm zu mir und flüstre mir's ins Ohr."

Am nächsten Sonntag schärfte ihm die Mutter ein, er möge doch auf den Speck gut acht geben, damit ihn niemand stiehlt; denn der Winter wird dann ohnedies damit aufräumen. Da kam ein alter Mann und bettelte. Unser Hans, der diesen Mann für den Winter hielt, holte sogleich den Speck aus der Vorratskammer und gab ihn dem Alten, der sich flugs damit aus dem Staube machte.

Ihr könnt euch denken, wie sich die Mutter über ihren Dummerjan von Sohn ärgerte.

Als die Mutter Sonntags wieder zur Kirche ging, sagte sie zu Hans: "Geh während meiner Abwesenheit in den Keller hinab und fülle zwei Flaschen mit Wein voll, damit wir zu Mittag uns daran gütlich tun; vergiß aber nicht, den Zapfen zuzudrehen." Wer aber aufs Zudrehen vergaß, das war unser einfältiger Hans. Nach einer halben Stunde erinnerte er sich daran; aber da war der Wein schon ausgeronnen und floß im Keller umher; vor der Kellertür stand ein Sack Mehl, den nahm unser Hans und schüttete ihn aus, um den Boden trocken zu machen.

Als die Mutter nach Hause kam und die Bescherung sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen; diesmal aber begnügte sie sich nicht bloß mit dem Schelten, sondern sie bläute ihren einfältigen Sohn windelweich durch.

Als sie zu Ostern wieder in der Kirche war, trug sie dem Sohne ganz besonders auf, das Haus ja gut zu behüten; doch ein Fünkchen war aus dem Schornstein aufs Strohdach gefallen und bald stand dieses lichterloh in Flammen.

Nun lief Hans wieder zur Kirche, aber er rief nicht mehr laut, was geschehen war, sondern schlich sich ganz leise zur Mutter und flüsterte ihr ins Ohr: "Mütterchen, unser Haus brennt!"

Als sie nach Hause kamen, war bereits das ganze Haus niedergebrannt und die Mutter mußte mit dem Sohne zu fremden Leuten ziehen, und da sie ganz arm geworden war, schickte sie ihn aus, um milde Gaben zu erbitten.

Einst brachte er einen Brotfladen nach Hause; weil er ihn aber so trug, daß alle Leute es sahen, sagte die Mutter zu ihm: "Ein andermal steck doch das, was du bekommst, in die Tasche!"

Bald darauf erhielt Hans von einem Nachbar eine Halbe Wein; er schüttete ihn sogleich in die Tasche. Als er nach Hause kam, sagte er frohgelaunt: "Mütterchen, ich hab' heute eine Halbe Wein bekommen." - "Ja, wo hast du ihn denn?" fragte die Mutter, denn sie sah, daß er keine Flasche in der Hand hielt. - Ganz vergnügt antwortete Hans: "Ich habe ihn in die Tasche geschüttet." - "Du bist aber doch wirklich unglaublich einfältig. Wenn du wieder etwas bekommst, so gib's doch in die Flasche hinein!"

Als nun Hans einen Kuchen erhielt, zerkrümelte er ihn in ganz kleine Bröselchen und stopfte ihn so lange in eine Flasche, bis diese zerbrach.

"Mit dir ist's wirklich nicht mehr auszuhalten," sagte die Mutter, "tu doch ein andermal die Sachen in den Ranzen!" Das schrieb sich unser Hans hinters Ohr, und als er das nächstemal ein Kälblein erhielt, riß er ihm die Füße und den Kopf ab, damit er es nun in den Ranzen stecken könne. Aber es ging doch nicht hinein; so warf er es weg.

"Mein Gott," jammerte die Mutter, "hast du es nicht an eine Schnur binden und herführen können?" Das ließ sich der gute Hans nicht zweimal sagen; als er den nächsten Tag ein Stück Butter erhielt, band er es an einen Strick und zog es nach Sause; aber eh' er damit heimkam, war es in der Sonne zerschmolzen.

"Hast du denn die Butter nicht fein säuberlich in ein Stück Papier einwickeln können?" schalt die Mutter, die schon ganz verzweifelt war. Deshalb wickelte unser Hans die zwölf Eier, die er am nächsten Tage erhielt, in ein feines Papier und stopfte sie in den Ranzen, wo sie natürlich jämmerlich zerquetscht wurden.

Unser Hans aber lag der Mutter immer in den Ohren, er sei schon groß und wolle gern heiraten. Als er nun endlich ein Körbchen mit Trauben nach Haus brachte, ohne daß daran etwas geschehen war, sagte die Mutter: "Nun bist du gescheit genug! Geh vors Tor und wirf deine Augen nach allen Seiten; vielleicht findest du eine, die dich heiraten will."

Hans ging aus dem Hause und sah eine Zigeunerin; die heiratete er. Er zog aber mit ihr in die Welt und man hat nichts mehr von ihm erfahren.

Die Mutter und ihr dummer Sohn, Wilhelm Roegge

Textillustration von Wilhelm Roegge

Quelle: Sagenbuch aus Österreich und Ungarn. Sagen un Volksmärchen aus den einzelnen Kronländern und aus den Ländern der Ungarischen Krone. Leo Smolle. Wien, Budapest, Stuttgart [1911]. S. 194 - 197