Das Gelübde

In der Nähe von Balzers, im Felde draußen, steht eine kleine Kapelle, "Kaltweh-Kapelle" genannt, zur Erinnerung an die wundersame Rettung eines Menschen aus Todesnot, aber zugleich auch als eine Mahnung an die Vorüberwandernden, Ungeduld und Zwängerei zu zügeln.

Denn vor Zeiten geschah es, daß ein Fuhrmann mit seinem Gefährt - er hatte zwei Wagen aneinandergespannt - über den Rhein wollte. Mit seiner Frau wartete er an der Stelle, wo die Fähre anlegte; aber trotz Rufen und Peitschenknallen ließ der Fährmann, der sich auf der andern Seite des Flusses befand, nichts von sich hören und machte auch keine Anstalten, zurückzufahren, um den eiligen und ungeduldigen Bauern zu holen.

Da riß dem Bauer die Geduld, er schlug mit der Peitsche auf seine Pferde los und trieb sie, trotz den angstvollen Bitten und Vorwürfen seiner Frau, in den Rhein hinein; denn er wußte, daß der Fluß hier nicht zu tief war und deshalb seine Pferde sicher das andere Ufer gewinnen würden. Das kühne Abenteuer wäre auch gelungen, wenn sich nicht der hintere Wagen, in dem zitternd die Frau saß, vom Vorderwagen gelöst hätte und von den Fluten des Rheines das Flußbett hinuntergetragen worden wäre. Im Rauschen des Wassers hörte niemand das Schreien der Frau, die ihrem Untergang entgegensah.

Da rang sie die Hände in leidenschaftlichem Gebet, und in ihrer Herzensnot gelobte sie dem Herrn, an jener Stelle, wo sie Rettung fände, eine Kapelle zu bauen.

Und es war, als hielte Gott seine segnende Hand über das kleine Schicksal im Strom: der Rhein trieb das Gefährt an das Ufer, wo hilfsbereite Hände die durchnäßte und vor Kälte und Angst zitternde Frau vollends ans Land zogen und ihr auch im nahen Balzers erste Hilfe brachten.

Lange, lange lag die arme Frau krank und erschöpft darnieder. Aber als sie wieder zu Kräften kam, erfüllte sie ihr Gelübde, und seither erinnert dort jene Kapelle an die Hilfe Gottes und mahnt zur Geduld und zur Einsicht.

Quelle: Dino Larese, Liechtensteiner Sagen, Basel 1970, S. 40