DER GANG INS TOBEL
Es ist öfter geschehen, dass Geister von Verstorbenen, die "Tobelhocker"
waren, irgendwo gesehen wurden, wo der Weg ins Lawenatobel geht. Es heisst,
dass neun Generationen lang die Nachkommen der Tobelhocker am Fluche tragen
- heute wäre er also bestimmt schon wirkungslos.
Ein Triesner aus einer solchen Familie war nach Amerika ausgewandert;
eines Tages sah ihn ein Triesnerberger "im Blüemler", einer
Flur, die oberhalb des Tobels liegt, und konnte sich nicht erklären,
wie der "Amerikaner" dort hinaufkomme. Bald kam aus Amerika
die Nachricht, der Mann sei gestorben.
Ein Bauer ging vom Guggerboden, wo er gefüttert hatte, gegen das
Dorf, da begegnete ihm im Wald ein Bekannter, aber er antwortete nicht
auf den Gruss und schritt lautlos weiter.
Im Dorf erfuhr der Bauer, dass der andere gestorben war. So war er also
hinausgegangen zum Tobel.
Eine Schaanerin kam von einem Besuche aus Balzers zurück. Dort, wo
es zum Lawenatobel abzweigt, sah sie eine Gestalt dem Tobel zuschreiten,
und sie erkannte eine Verwandte, die in Amerika lebte. Daheim erzählte
sie von der Begegnung, aber niemand glaubte ihr.
Aus Amerika aber kam die Nachricht vom Tode der Tante.
Ein Triesner glaubte nicht an den Fluch und liess sich die Liebe zu einem
Mädchen aus einer solchen Familie nicht nehmen. In der Nacht aber
begenete ihm eine Frauengestalt auf dem Weg zum Tobeleingang. Als er am
Morgen hörte, sie sei gestorben, wagte er seine Stubertigänge
nicht mehr.
Ein österreichischer Finanzer, der in Triesenberg wohnte, schritt
von einem Dienstgang aus der Lawena heimzu. Da begegnete ihm eine Nachbarin,
die aber auf Gruss und Ansprache keine Antwort gab. Im Dorfe kündete
zu seiner Überraschung das Totenglöcklein das Sterben dieser
Frau, und er erzählte sein Erlebnis.
Seine Aussage machte aber böses Blut, und er wurde aus dem Lande
versetzt.
Ein Wilderer kam einst in der Nacht aus Lawena. Ob Magrüel begegnete
ihm eine Frau, die mit fliegenden Haaren aufwärtsrannte. Als der
Mann in Triesen ankam, läutete bald das Totenglöcklein. Es galt
der Frau, die er gesehen hatte.
Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein,
1966/1980, Nr. 60