DER SÜCCA-KERES



Die Alpe Sücca am Kulm hat früher einmal dem Fürsten gehört. Auf dieser Alpe hat es einen Sennen gehabt, der hat Keres geheissen. Als dieser Senn wurde, hat er schwören müssen, dass er treu und redlich dienen wolle. Er hat es aber nicht getan und hat seinen Herrn betrogen. Er hat ihm Käse und Butter heimlich fortgetragen und in Triesen verkauft. Beim Guferwald ist er auf- und abgegangen.

Wie der Keres gestorben ist, hat man ihn in Triesen begraben. Als man ihn dann später wieder ausgraben wollte, habe er drei Finger durch die Erde heraufgestreckt, und er sei noch ganz so gewesen, wie man ihn begraben habe; nur sei er schwarz gewesen, und man habe ihn auf der Stelle wieder zugedeckt.

Auf der Sücca habe hernach niemand mehr Knecht sein wollen, und kein Senn habe es dort aushalten können, weil der Keres in der alten Sennhütte gegeistert habe. Wenn die Leute aus dem Malbuntal und Älpelti gekommen seien, so hätten sie ihn oft aus dem Fenster herausschauen gesehen, mit der Lederkappe und dem Lendenschurz, genau wie damals, als er noch Senn war.

Da habe man einen Geistlichen holen lassen, der habe ihn schliesslich von der Sennhütte weggebracht. Wie er ihn beschworen habe, da habe der Geist des Sücca-Keres gebeten, dass man ihn wenigstens auf der Höhe oben lasse, wo er noch die Schellen des Sücca-Senntums hören und auf seines Vaters Gut hinabschauen könne. Und dann ist er in das Loch auf der Höhe.

Hernach habe man auf der Sücca wieder Knechte bekommen, weil man vom Keres nichts mehr gesehen habe.

Nach einer anderen Erzählung wurde der Keres von zwei Kapuzinern in das Loch auf die Höhe Schindelries gebannt, das heute noch "Keres-Loch" genannt wird. Auf die Frage der Kapuziner, warum er wandeln müsse, habe er gesagt: "Nicht der Diebstahl hat mich verdammt, sondern der Eid".

Einmal wollten Schulmädchen Alpstöcke, die von den Alpknechten zurückgelassen worden waren (man war von der Alp schon abgefahren), mitnehmen, denn sie wussten, dass schön geschnitzte und geringelte Alpstöcke von den Hirten zurückgelassen werden. Als sie gegen die Hütte kamen, wurde der Laden im Giebel aufgeschlagen, und ein Mann mit breitem Gesicht, rotem Brusttuch und Lederkappe schaute heraus. Mit dem Ausruf: "Der Keres !" sprangen sie davon.

Ein andermal sind der ganze Fasel Geissen von der Sücca plötzlich auf und davon, wie von Wölfen getrieben, und sie sind bis auf den hintern Heubühl gesprungen, und der Hirt wusste nicht warum. Da sah er dann, wie der Keres das Fenster öffnete und herausschaute. Die Geissen sind merkiger als ich, dachte er bei sich.

Eine Geiss einer armen Witwe fiel in das Keres-Loch und konnte nicht mehr heraus. Der Hirt liess sich anseilen und stieg hinunter, um die Geiss zu holen. Auf einmal glaubte er in einem Licht auf einem Stein eine Hand zu sehen, die drei Finger wie zum Schwur emporhielt. Vor Schrecken suchte er so schnell als möglich aus dem Loch zu kommen. Die oben zogen ihn heraus, und dann hat man auf das Loch Holz gehauen und es zugedeckt.

Zwei Buben gingen beim Keres-Loch vorbei, und einer warf Steine hinein. Auf einmal kam er ganz bleich vor Schrecken dem anderen nachgesprungen und erzählte, wie ein Mann aus dem Loch herausgekommen sei.

Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein, 1966/1980, Nr. 23