DER TRIESNER REITER
Auf der hohen Illbrücke in Feldkirch hörte man jede Nacht Hufschläge.
Es ist der Triesner Reiter gewesen, den das Gewissen jagte.
Vor dreihundert Jahren lebte in Vorarlberg eine kleine, arme Waise. Das
Essen bekam sie auf der Alp, und als Entgelt verrichtete sie leichte Dienste.
Als sie einmal Butter aus der Alpe trug, sprang ihr ein Hund mit kläglichem
Gewinsel entgegen und liess nicht nach, bis sie ihm ins nahe Gehölz
folgte. Dort lag ein Jäger, der vom Felsen gestürzt war, und
blutete aus tiefer Wunde. Mitleidig verband ihn das Mädchen, riss
dazu seine Schürze in Streifen, strich Butter darauf und holte dann
aus einer nahen Alp die Hirten zur Hilfe herbei. Der Jäger aber war
der Vogt von Feldkirch, der auf der Schattenburg sass und ein mächtiger
Herr war. Er schenkte dem Kinde einen Goldring und sagte, wenn es einmal
in Not käme, solle es den Ring schicken; er werde seine gute Tat
nicht vergessen.
Die Jahre vergingen, und das Mädchen verdingte sich bei einem Triesner
Bauern als Magd. Am Tag aber, als sie den Dienst antrat, erkrankte dessen
einziges Kind und starb. Da verfiel der Bauer in finstere Gedanken. Er
glaubte, dass sie das Kind behext habe und schuld sei an dessen Tod, ging
nach Vaduz und verklagte sie den Richtern.
Alsbald wurde die Unglückliche geholt und in den Kerker des Schlosses
geworfen. Umsonst beteuerte sie ihre Unschuld. Es war eine Zeit wüsten
Wahnes, und wer einmal verdächtig war, verfiel dem Verderben. Die
Richter verurteilten sie zum Tode. In dieser höchsten Not gedachte
das Mädchen des Versprechens, das ihr der Landvogt von Feldkirch
einst gegeben. Es ergriff seinen Ring und flehte, ob nicht einer die Barmherzigkeit
habe, ihn auf die Schattenburg zu bringen, aber keiner war da, der Bote
einer Hexe sein wollte.
So war sie verlassen von allen und ohne Hilfe, und es wurde ihr schon
der Holzstoss errichtet. Als aber die Henkersknechte die Scheiter aufeinanderhäuften
und der Bauer das sah, erwachte in ihm das Gewissen. Er eilte in den Kerker
des Mädchens, holte den Ring und ritt im sinkenden Abend nach Feldkirch.
Ob er auch das ROSS anspornte, dass ihm die Weichen bluteten, seine Reue
brachte keine Rettung mehr. Der Vogt hatte den Tag mit Spiel und Schmaus
verbracht und lag trunken vom wüsten Zechen, als der Bauer auf der
Schattenburg ankam. Erst am nächsten Morgen konnte ihm dieser den
Ring weisen. Aber da lohte schon der Holzstoss oben in Vaduz.
Das ist die Sage vom Triesner Reiter. Er ist dem schuldlosen Mädchen
bald im Tode gefolgt. Seitdem sieht man ihn jede Nacht, wie er auf der
alten Strasse von Schaan nach Feldkirch sprengt. Er reitet, vom Gewissen
gehetzt, über die hohe Illbrücke. Sein Mantel weht in der schwarzen
Nacht, und schauerlich klingt sein Hufschlag.
Auch der Vogt hat keine Ruhe. Vom grossen Saale geht er allnächtlich
ans Bürgertor und will es öffnen, doch er kann es nicht, stöhnt
verzweifelt und schreitet traurig durch den Schlosshof zurück.
Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein,
1966/1980, Nr. 64