DIE WILDMANNLI
Die Wildmannli wohnten im Nenzinger Tal auf der Alpe Seris in Höhlen,
Kasten genannt. Sie hatten keine Kleider, aber ihr Leib war ganz mit Haaren
bewachsen, wie bei Bären. Sie kamen ins Malbunertal und in den Steg
und fütterten den Bergern ihr Vieh. Wenn die Bauern viel Arbeit hatten,
so verliessen sie sich auf die Wildmannli und gingen oft mehrere Tage
gar nicht hinein in den Steg und ins Malbun, weil sie wussten, dass die
Wildmannli das Vieh fütterten und besorgten. Bei schlechtem Wetter
und besonders bei Föhn aber blieben die Wildmannli daheim. Einst
ging auf der Höhe der Föhn, und am Triesenberg war schönes
Wetter. Die Berger hatten noch Kartoffeln zu graben und gingen deshalb
gar nicht hinein in die Alpen, weil sie glaubten, die Wildmannli würden
das Vieh schon füttern. Am dritten Tage aber liefen doch einige hinein,
um Nachschau zu halten und Milch und Molken zu holen. Da fanden sie das
Vieh halb verhungert, denn die Wildmannli waren wegen des Föhns nicht
gekommen.
Einmal liessen die Wildmannli die Hebamme von Triesenberg zu einer Wöchnerin
rufen. Als Lohn erhielt sie eine Schürze voll Holzkohlen. Wenig erfreut
über ihren Lohn, warf sie auf dem Heimweg eine Kohle nach der ändern
weg. Ein Wildmannli ging unsichtbar hinter der Hebamme her und las die
Kohlen auf und rief jedesmal, sooft sie eine Kohle wegwarf: "Je mehr
du wegwirfst, je weniger du hast!" Daheim angekommen, hatte die Frau
nur noch einige Stücke Kohle in der Schürze und leerte sie auf
die Kochherdplatte. Erstaunt sah die Frau, dass jede Kohle ein blanker
Taler geworden war. Sie eilte zurück und wollte die weggeworfenen
Kohlen wieder auflesen, aber es waren keine mehr zu finden.
Vor Weihnachten rief einmal ein Wildmannli von der Höhe des Ochsenkopfes
herunter: "Das Bitzi und das Batzi ist gestorben!" Von dieser
Zeit an wurden die Wildmannli nie mehr gesehen.
Eine Höhle beim Ochsenkopf heisst heute noch "Wildmannskirchle".
Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger,
Nendeln/Liechtenstein, 1966/1980, Nr. 14