Vilnius
Gediminas-Berg in Vilnius, Józef Marszewski, 1861

Der Gediminas-Berg in Vilnius.
Józef Marszewski, 1861

Eines Tages ritt der Grossfürst Gediminas mit seinen Kriegern und Fürsten auf Jagd. Den ganzen Tag jagten sie nach Auerochsen, die Hörner erklangen in der ganzen Gegend. Am Abend versammelten sich alle müde und hungrig auf einem hohen Hügel, wo das Flüsschen Vilnelė in die Neris mündet. Dahin schleppten sie alle erlegten Wildtiere zusammen: Elche mit langem breitem Geweih wie Baumkronen, Wölfe und dickfellige Bären. Gediminas hatte den mächtigsten Auerochsen erlegt. Alle staunten darüber sehr, denn so ein grosses Tier hatten sie noch nie gesehen. Die Nacht war ruhig und warm, so begehrte Gediminas, auf diesem Hügel sein Nachtlager zu errichten. Der Ort gefiel ihm sehr: Der Hügel war mit alten Eichen und weissen Birken bewachsen, am Fusse des Hügels floss Neris. Am frühen Morgen erwacht, erzählte der Grossfürst von seinem Traum, den er in der Nacht gesehen hatte: Auf einem hohen Hügel stand ein grosser eiserner Wolf, der so laut heulte, wie ein ganzer Rudel Wölfe. Niemand konnte Gediminas den Traum deuten, ausser dem ältesten Krivis Krivaitis, dem heidnischen Priester. Dieser sagte: „O erlauchtigster Fürst, der Eisenwolf ist die Burg, die du auf diesem Hügel erbauen musst, am Fusse des Hügels musst du eine Stadt gründen. Diese Stadt wird eisenstark. Die Feinde werden sie mehrmals überfallen, sie zu zerstören und ruinieren versuchen, doch werden sie nie einnehmen. Das Heulen des Wolfes ist der Ruf von der mächtigen und reichen Stadt, der durch die ganze weite Welt geht.“

Gediminas errichtet die Burg zu Vilnius, M.E.Andriolli, 1882

M.E.Andriolli
Holzschnitt, 1882

Gediminas erbaute die Burg auf dem Hügel, wo er übernachtet hat, und nannte die Stadt am Fusse des Hügels Vilnius. Auch seinen Sitz verlegte er dahin. Der Lauf der Jahre bestätigte die Deutung des Traumes durch Krivis Krivaitis: Vilnius ist zu einer berühmten und grossen Stadt geworden.

Quelle: Übersetzung aus dem Litauischen von Vilija Gerulaitiene.
Email-Zusendung 18. Februar 2006.
© Vilija Gerulaitiene