Das runde Bäumchen bei Bus

Auf einer kleinen Anhöhe, die den Knotenpunkt zweier sich kreuzender Waldwege bildet, auf der Grenzscheide zwischen dem Busche der Sektion Bus und einem anderen, genannt Reiter, steht das „runde Bäumchen“, eine uralte, dicke, knorrige Eiche, in deren Stamm eine mit dem Beil eingehauene, fast meterhohe Nische sich befindet. Bis zur Stunde ist diese Eiche hochgeachtet und gilt dem Volke als heiliger Baum. Darum hat sie auch des Holzhackers Axt verschont, obgleich sie im Absterben begriffen ist und ihre Tage schon oft gezählt zu sein schienen.

Die einen behaupten, man halte den gedachten Baum in Ehren wegen religiös-historischer Erinnerungen, die sich an denselben knüpfen. Als unter der Schreckensherrschaft der ersten französischen Republik der Vikar, Herr Prost, flüchtig werden musste, richtete ihm der Holzhacker Bour von Bus unweit des runden Bäumchens in einer Waldschlucht, genannt Katzenloch, eine Nothütte zum Verstecke her. Weil die alte Eiche auf einer Anhöhe steht, an deren Fuß vier Waldwege zusammenlaufen, konnte dieselbe als natürlicher Sammelort der Gläubigen dienen. Am Fuße des Baumes, der sein mächtiges Geäst als schützendes Dach weit ausstreckte, stand der Notaltar, auf dem Herr Vikar Prost tränenden Auges das hl. Messopfer feierte. Hier auch belehrte und tröstete er das unglückliche Landvolk. Da mochte wohl die Nische ein Kruzifix oder Heiligenbild geborgen haben. Doch weiß die Überlieferung über den Verbleib desselben keine bestimmte Auskunft zu geben, noch auch darüber, ob vor oder nach gedachter Periode irgendetwas Merkwürdiges daselbst gefunden worden.

Andere behaupten, der Baum sei aus folgenden Gründen erhalten worden. Derselbe diene nämlich seit alten Zeiten als Grenze des Buser Besitztums, als Orientierungspunkt für die Waldbesucher, als Sammelplatz bei Holzversteigerungen. Der Reiterbusch gehörte früher den Einwohnern von Bus, die dem ehemaligen Grafen von Rentgen (Lothringen) zu Frondiensten verpflichtet waren. Um sich einige Erleichterung oder Vergünstigung zu erwirken, übertrugen sie dem Fronherrn das Eigentumsrecht über den bezeichneten Waldteil, welcher unter der französischen Revolution konfisziert und an Privatleute verkauft wurde. Das runde Bäumchen wurde als Demarkationspunkt zwischen Gemeinde- und Privateigentum anerkannt. Die Aushöhlung im Stamme des Baumes aber, heißt es, habe dem Waldhüter Schutz gegen den Nordwind und ein ziemlich leidliches Ruheplätzchen gewährt.

Heinr. Clemen, Pfarrer zu Bus

Quelle: Nikolaus Gredt, Sagenschatz des Luxemburger Landes, Luxemburg 1883