Das Bofferdanger Moor bei Oberkerschen

Auf dem Banne von Oberkerschen, ungefähr dreihundert Meter von der östlichen Ecke des Gemeindewaldes, befindet sich ein Morast, genannt das Bofferdanger Moor, dessen Flächeninhalt zwei bis drei Morgen Land umfasst und das ein längliches Dreieck bildet. Während der nassen Jahreszeit ist es ringsum von Wasser umgeben, aus welchem hohes Schilf hervorwächst. Während des Sommers kann man ohne Gefahr auf demselben einhergehen; nur muss man sich vor einer Stelle hüten, wo sich der tiefe Brunnen des versunkenen Schlosses befinden soll. Die ganze Oberfläche des Morastes ist mit Moos bedeckt, das so fest zusammengewachsen ist, dass man nicht leicht in dem darunter befindlichen Schlamme versinken kann. Das Wasser fließt nach zwei Seiten ab.

An diesen Morast knüpft sich folgende Sage. Vor vielen, vielen Jahren stand dort ein Schloß, dessen Herrschaft wegen ihres Geizes und ihrer Herzlosigkeit gegen arme Leute im ganzen Lande berüchtigt war. Bettler, die sie flehend um ein Almosen baten, wurden mit Hunden hinausgehetzt, so dass bald kein Hilfsbedürftiger es wagte, dort um eine milde Gabe zu flehen.

Eines Tages erschien ein ehrwürdiger Bettlergreis im Schlosshofe und bat, hungrig und ermattet auf seinen Stab gelehnt, um ein Almosen. Allein der Hausherr ließ die Hunde auf ihn hetzen. Eine Magd jedoch, die bei diesem grausigen Anblicke gerührt wurde, rief die Hunde zurück, eilte auf ihr Zimmer und brachte dem Bettler einen Teil ihrer Ersparnisse. Als dieser das mitleidige Herz der Magd erkannt hatte, bat er sie dringend, das Schloss sofort zu verlassen und ihm schnell zu folgen. Zugleich befahl er ihr, nicht eher hinter sich zu schauen, als bis er stehenbleibe. Nachdem sie eine kleine Strecke Weges zurückgelegt, blieb der Greis bei zwei großen Birnbäumen stehen. Da schaute das Mädchen um, aber von dem herrlichen Schlosse, das sie eben verlassen, war nichts mehr zu sehen; es war versunken, nur der Schornstein ragte aus einem tiefen Wasser hervor. Eine prächtige goldene Wiege, in welcher ein kleines Kind lag, schwamm noch eine Weile auf dem Wasser (nach einer Mitteilung sogar acht Tage lang) und versank gerade an der Stelle, wo sich der Schlossbrunnen befand.

Als das Mädchen sich nach ihrem Begleiter umsah, war er verschwunden. Sie allein war gerettet, während alle andern Schlossbewohner im Moraste einen kläglichen Untergang gefunden hatten. *)

Nach anderen Mitteilungen boten ein Knecht und eine Magd, über ihres Herrn Handlungsweise entrüstet, dem greisen Bettler ihr eigenes Mittagsmahl an. Um ihre Barmherzigkeit nicht unbelohnt zu lassen, befahl dieser dem Knecht, das beste Pferd, und der Magd, die beste Kuh aus dem Stalle zu nehmen und ihm zu folgen. Einige hundert Meter vom Schlosse entfernt, sahen sie rückwärts und erblickten vom Schlosse nur noch die Türme, welche allmählich ebenfalls im Boden versanken. Der Hahn flog auf die letzte Zinne, tat noch einen Schrei – und fort war er. Noch heute bezeichnen die Kinder verschiedene Stellen, wo sich Brunnen befunden haben sollen. Nur ein Kind in einer goldenen Wiege, so behauptet man, wurde gerettet und die Nachkommen desselben würden dort wieder ein Schloss bauen und mächtig werden.

*) Man behauptet, noch vor etwa hundertzwanzig Jahren seien Überreste jenes Schlosses sichtbar gewesen; das Schloss sei einstöckig gewesen und habe in der Mitte des Morastes gestanden.

Quelle: Nikolaus Gredt, Sagenschatz des Luxemburger Landes, Luxemburg 1883