Die Wichtelcher zu Vichten

A. Zu Vichten konnte man die Wohnungen der Zwerge noch vor fünfzig Jahren sehen. Es waren kleine, unterirdische Gemächer, kleine Brunnen. Ein Mann, der, in der Meinung, einen Schatz zu entdecken, in seinem Garten Nachgrabungen angestellt hatte, stieß auf eine von der Zeit verschont gebliebene unterirdische Wohnung. Dort sollen die Wichtelcher gehaust haben, kleine Männlein, die den Menschen nur Gutes taten. Vor kaum zehn Jahren ist zu Vichten ein Mann gestorben, den die Wichtelcher in seiner Kindheit gewiegt haben. Sonntags morgens, wenn die Hausleute in der Kirche waren, kamen sie ganz leise ins Haus, wiegten den Kleinen und fütterten die Pferde und Kühe.

Ein Bauer, der seinen Acker pflügte, hörte einst die Wichtlein unter der Erdschicht mit Küchengeschirr klappern. „Ei“, sagte er, „backt mir doch auch einen Kuchen mit!“ Als er den Pflug gewendet hatte und wieder an dieselbe Stelle kam, fand er auf einem kleinen, reinlichen, am Boden ausgebreiteten Tuche einen kleinen Kuchen, den er sich wohl schmecken ließ.

B. Bei Vichten auf dem Wege nach Bissen, wo sich die Trümmer alter Bauten befinden, soll der Palast der Zwerge gestanden haben, und Vichten selbst soll, wie es schon sein Name andeutet, die Hauptstadt der Zwerge gewesen sein. Hier herrschte Schaddaï friedlich über das Zwergenvolk, bis eine Empörung unter demselben ausbrach, die dem Könige das Leben kostete.

Unter dem Scheuerbusch wohnten in unterirdischen Gängen ebenfalls Zwerge, die so reich waren, dass sie ihre Mäuse mit Gold fütterten. Man will deren gesehen haben, die an einem Goldstück nagend umherliefen.

Auch die Zwerge zu Vichten waren sehr reich, reicher als alle andern. Einst soll ein Vichtener Zwerg einem seiner Stammesgenossen unter der Scheuerburg im Scheuerbusch gesagt haben: „Wenn ihr Pflüge mit silbernem Pflugeisen habt, um eure Äcker zu pflügen, so haben wir deren mit goldener Pflugschar“. Die Vichtener Zwerge hatten u.a. das Recht, jeden Samstag von einem Hause in Vichten einen Backofen Brotkuchen (Flâmekoch) zu fordern.

L'Evêque de la Basse Moûturie, 363 f.

Quelle: Nikolaus Gredt, Sagenschatz des Luxemburger Landes, Luxemburg 1883