Des Storches Dank

Als Walter der Zweite Herr zu Egmont, und sein Bruder Lubbertus Abt des Klosters Egmont war, hat sichs zugetragen, dass ein Storch, welcher auf der Abtei Dach sein Nest gebaut hatte, ein Bein brach und also von einem jungen Burschen gefangen wurde. Dieser brachte ihn seiner Mutter, einer armen Frau, die dem armen Storch das Bein verband und mit ihrem Sohne ihn fütterte, bis er wieder gesund geworden war, wo sie ihn dann seines Weges fliegen ließen.

Gegen den Herbst verzog der Storch ins warme Land, wie alle Störche zu tun pflegen. Als er aber mit dem Beginne des Frühlings wiederkehrte, flog er zuerst zu der armen Frau und warf dieser aus seinem Schnabel einen köstlichen Edelstein in den Schoß. Das Frauchen war gar erstaunt darob und wusste nicht, was solches bedeuten möchte. Sie nahm darum den Stein und trug diesen zu dem Herrn Abt, auf dessen Kloster der Storch wieder sein Nest bezogen hatte. Der Abt war nicht weniger verwundert und ließ alsbald einen kommen, der Kenntnis hatte von Edelsteinen. Der putzte den Stein und fand, dass es ein köstlicher Karfunkel war, der Nachts einen lichten Schein, gleich dem des Mondes, von sich warf.

Dieser Stein wurde auf den Hochaltar der Kirche von Egmont gesetzt und ist dort noch lange nachher zu sehen gewesen. Die arme Frau bekam aber vom Kloster so reiche Gaben, dass sie ein sorgenfrei Leben führen konnte.

Quelle: Johann Wilhelm Wolf, Niederländische Sagen, Leipzig 1843