Von einem Wunder Wolframi und wie König Ratbold von Friesland vom Teufel verführt ward und starb

Als König Ratbold sich nicht hatte wollen taufen lassen, da geschah es, dass man nach Gewohnheit der Friesen einen Menschen, der durchs Loos erwählt wurde, den Abgöttern opfern musste, und es trug sich zu, dass das Loos auf einen schönen Jüngling fiel, der Ovo (Occo) genannt war. Als der heilige Bischof Wolfram das hörte, bat er den König Ratbold, dass er ihm diesen Jüngling geben möge. Aber der König antwortete und sprach: „Siehe, ich werde diesen Jüngling aufhängen lassen nach meiner Väter Gewohnheit, denn das Loos ist auf ihn gefallen, wenn aber dein Gott ihn vom Tode erretten kann, dann will ich ihn dir geben.“ Und darauf wurde der Jüngling gehangen und der heil. Bischof stand bei dem Galgen und flehte zu Gott, dass er den Armen vor dem Tode bewahren möge, und sieh, der Bast brach zur Stunde mit den Banden und der Jüngling fiel unverletzt zur Erde. Wolfram hob ihn dankend auf und taufte ihn und ließ ihn von dem Bischofe von Ruwaen (Rouen) Regislant, zu einem Priester weihen.

Als der König das Wunder sah, begehrte er von dem Heiligen, getauft zu werden, aber Wolfram glaubte nicht, dass der König es gut meine im Herzen und stand darum in Zweifel, ob es ratsam sei, denselben zu taufen. Er schrieb also einen Brief an den heil. Willebrordus, um dessen Meinung darüber zu erfahren und dieser schrieb ihm hinwieder: „Wie sollte der glauben können, der meinem heiligen Bruder und Mitbischof nicht geglaubt und nicht getraut hat; ich habe gesehen, dass er mit einer feurigen Kette gebunden war und dabei verstanden, dass er für ewig verurteilt und verdammt ist.“ Dieses ließ Wolfram dem Könige wissen, aber Ratbold trieb seinen Spott damit und sprach: „Nein, das kann nicht also sein, wie Willebrordus schreibt, denn ich hatte in dieser Nacht eine Erscheinung und ein Engel kam zu mir, gekleidet in güldenes Gewand und trug eine goldene Krone auf dem Haupte und der sprach zu mir: ‚O allertapferster der Männer, König Ratbold, wer hat dich also betrogen, dass du von dem Dienste der Götter scheiden willst? Das wolle doch nimmer tun und halte dich bei dem Glauben, den du von deinen Vorältern gelehrt und empfangen hast; dann auch wirst du zu dem goldenen Hause und Pallaste kommen, der dir bald in der Ewigkeit bereitet ist. Darum sollst du morgen zu dir entbieten den Bischof und Lehrer der Kirche, Wolframum, und ihn fragen, wo die Wohnungen der ewigen Klarheit seien, welche er dir versprochen hat. Kann er dir diese nicht zeigen, so sendet von beiden Seiten Gesandte und Boten und ich werde ihr Geleitsmann sein.’“ Der Bischof antwortete aber und sprach: „O edelmögender König, das ist der Teufel, der dich in Gestalt eines guten Engels betrügt.“ Darauf entgegnete der König: „Siehe, ich will ein Christ werden und mich taufen lassen, wenn mein Gott mir diese goldenen Paläste nicht zeigt.“

Und um dem Willen des Königs zu genügen, sandte der Bischof einen seiner Diakonen mit einem Friesen, der von Seiten Ratbolds ging. Als diese beiden ein Stück Weges vor Medemblick gekommen waren, fanden sie ihren Geleitsmann bereitstehend, wie er es dem Könige gelobt hatte, und der sprach zu ihnen: „Eilet euch sehr und ich werde euch weisen und zeigen die herrliche Wohnung, welche dem Könige Ratbold bereitet ist.“ Und sie gingen mit einander auf einem breiten und unbekannten Wege, bis sie auf eine Straße kamen, welche von glatten Marmelsteinen gemacht war, und da sahen sie von ferne ein köstliches Haus von Gold und edeln Steinen gebaut. Und als sie in das Haus kamen, zeigte sich ihnen die wunderbare Pracht eines königlichen Thrones von unaussprechlicher Schönheit, und da sprach ihr Geleitsmann: „Sehet hier die Wohnstatt, welche dem Könige Ratbold bereitet ist.“

Der heilige Diakon aber verwunderte sich über die Maßen und sagte: „Ist es, dass diese Dinge von Gott sind, so bitte ich den Herrn, dass er sie ewig also bleiben lasse; sind sie aber vom Teufel, so bitte ich den allmächtigen Gott, dass er sie zur Stunde vernichte.“ Und als der Diakon dies gesprochen, machte er das Zeichen des heiligen Kreuzes und siehe, ihr Geleitsmann verwandelte sich in einen hässlichen Teufel und die Pracht des Palastes und der Zierraten in Staub und Kot und sie standen inmitten eines Pfuhls, aus welchem sie mit großer Arbeit und Mühe erst am dritten Tage sich herauswanden. In Medemblick aber hörten sie, dass der König Ratbold plötzlich gestorben sei. Und sie erzählten dem Bischofe und allen, die es hören wollten, was sich zugetragen, und der Friese ließ sich taufen.

Quelle: Johann Wilhelm Wolf, Niederländische Sagen, Leipzig 1843