Die Berchtl

Es mag so manche Tanne im Virgental umgehauen und an ihrer Stelle eine andere großgewachsen sein, seitdem einem Bauer einmal mit der Berchtl eine seltsame Geschichte begegnete. Er ging in der Nacht vor dem heiligen Dreikönigstag von Windischmatrei heim, und wie er weiter ins Tal hineinkam, war es schon tief in der Nacht und stockdunkel wie in einem Sack. Er hätte die Finsternis mit den Händen greifen können und durch das Tal heraus pfiff ein eiskalter Wind. Es war dem guten Manne, der sonst eben nicht zu den furchtsamen Hennen gehörte und jede Stunde der Nacht schon mehr als zwnzigmal auf „freier Weite“ zugebracht hatte, heut gerade nicht zumute wie etwa einem Robler, der es mit jedem aufnehmen möchte, und sagte deshalb sein andächtig: „Gott Lob und Dank!“ als er die Brücke errecht hatte, von der es zu seinem Haus nicht mehr weit war. Aber da hörte er auf der andern Seite ein Gemurmel von vielen Stimmen, als käme die „wilde Fahrt“ daher, und, um auf jeden Fall auszuweichen, möge es sein, was es wolle, stieg er unter die Brücke hinab; denn weit davon, dachte er, ist gut für den Schuß, und setzte sich auf einen Stein, wo das Schneegestöber nicht zugekommen war. Da hörte er zahlreiche Schritte auf der Brücke, und als sie hinüber waren, sagte eine Stimme: „Wartet, Kinder! Da unten ist ein Stock, in den muß ich dieses Hackl hineinhauen.“ Und in dem Augenblick stand die Berchtl vor ihm und schlug ein Hackl in sein Knie, daß es steckte, und verschwand dann, wie ein Nebel zergeht. Dem Bauer war jetzt noch weniger ums Lachen als zuvor; denn es war keine Möglichkeit mehr, das Hackl herauszubringen. Er ging nach Haus und suchte dann Hilfe bei allen Geistlichen und Doktoren weit und breit; das Hackl blieb aber, ohne ihm Schmerzen zu machen, in seinem Knie.

So war nun ein Jahr bald herum; denn die Zeit vergeht, ohne daß man es merkt, da kam ihm ein glücklicher Gedanke in den Sinn. Er ging in der heiligen Dreikönigsnacht wieder hinaus zur Brücke und setzte sich auf den gleichen Stein. Vielleicht kommt die Berchtl, dachte er, und holt das Hackl ab, - und wirklich täuschte er sich nicht. Bald hörte er sie mit ihrem ganzen Gefolge über die Brücke gehen, und als sie hinüber war, sagte sie: „Wartet! Voriges Jahr hab’ ich da unten in einen Stock ein Hackl eingehauen, ich muß es wieder mitnehmen.“ Kaum gesagt, stand sie unten vor dem Bauer und zog ihm schnell das Hackl heraus, daß man nichts mehr spürte, wo es gesteckt hatte, und war dann weg wie der Wind. Dem Mann aber war besser zumute als einer armen Seele, wenn sie aus dem Fegefeuer erlöst wird, und er ging, wie sich jeder leicht einbilden mag, freudiger heimzu als vor einem Jahr.

Zingerle

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein, Hans Fraungruber, Wien, Stuttgart, Leipzig 1911
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2006.
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