Hans Puchsbaum

Die Wiener Stephanskirche hat nicht immer dieselbe Gestalt und Größe gehabt. Aber auch so, wie sie heute vor uns steht, hat sie ein hohes Alter. Ihre gegenwärtige Gestalt verdankt sie dem Herzoge Rudolf IV. dem Stifter aus dem Hause Habsburg.

Rudolf war ein junger, hochsinniger Fürst, der Großes und Schönes schafffen wollte. Er ging daran, die bestehende Stephanskirche in einer großartigen Weise umzubauen.

Im Jahre 1359 legte er mit eigener Hand den Grundstein zu dem neuen Gotteshause, das mit seinem herrlichen Turme noch heute die größte Zierde der Kaiserstadt ist. Den Plan hiezu lieferte ein Baumeister aus Klosterneuburg, dessen Name nicht sicher erhalten ist.

Unter den vielen Meistern, die nach Anton Pilgram aus Brünn an dem Weiterbau arbeiteten, war einer der berühmtesten Hans Puchsbaum, der 1433 den großen Turm vollendet haben soll. Er stand als Werkführer im Dienste des Baumeisters Peter von Prachowitz oder Brachowitz und war ein treuer Diener, der sich die Arbeit mit Fleiß und Ausdauer angelegen sein ließ; er stand deshalb bei seinem Meister in hohem Ansehen. Da wollte es das Unglück, daß Peter von Prachatitz starb. Sein Nachfolger liebte Puchsbaum nicht; denn er fürchtete, der ausgezeichnete Gehilfe könne ihn an Geschick übertreffen und seinen Ruhm verdunkeln. Darum beschloß er, Puchsaum zu verderben.

Es war ein heiterer, stiller Abend. Puchsbaum stieg hinauf bis zum obersten Teile des Gerüstes und blickte mit Wohlgefallen auf den Bau unter sich. Es erfüllte ihn mit Freude und Stolz, als er bedachte, daß er an diesem schönen Bau habe mitarbeiten können. In diese Gedanken versunken, merkte er nicht, daß ihm der Baumeister nachgeschlichen war. Als Puchsbaum wieder umkehren wollte, stürzte ihn der tückische Meister vom Gerüste in die Tiefe hinab, wo der Ärmste zerschellt liegen blieb. So hatte der Meister seinen Haß an dem strebsamen Gesellen gestillt, aer das Andenken an ihn konnte er nicht verwischen. Noch heute nennt man mit Bewunderung den Namen des Hans Puchsbaum, wenn man auf das stolze Werk blickt, an der er so eifrig mitgeschaffen hat. Sein feines Brustbild schaut ernst und gedankenvoll vom Orgelfuße des Domes nieder.

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein, Hans Fraungruber, Wien, Stuttgart, Leipzig 1911
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2006.
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