Lienbach-Alpe

Als sie aus dem Walde steigen,
Sprach der Jäger zu dem Knechte:
„Wie der Adler möchte’ ich fliegen
Über diesem Zweiggeflechte.

Fliegen über diesen dunklen Tannen,
Diesen kargen Feldern,
Über diesem blöden Funkeln
Stummer Seen in den Wäldern;

Über diesen niedern Sparren,
Drunter wir geknechtet hocken,
Diesem Beten, Geizen, Narren,
Diesen dummen Kirchenglocken.

Statt mit Not und Schmach zu ringen
Und ein Mensch zu sein verdammen,
Wünsch’ ich mir des Adlers Schwingen,
Seines Busens Flaum und Sammet.“

Horch – da springt mit Hufgetrappe
Von des Berges Felsenkamme
Vor den Jäger hin ein Rappe,
Glänzt und sprüht gleich einer Flamme.

Schrecklich ist er anzuschauen,
Doch der Jäger ruft: „Willkommen!
Dir will ich mich anvertrauen,
Meinem Unmut wirst du frommen!“

Schwingt sich mit gewalt’gem Sprunge
Auf des Rosses Sammetrücken,
Weiß zu geben ihm die Zunge
Und die Zügel recht zu zücken.

Und der Rappe bäumt und brauset,
Tritt den Grund mit starken Hufen,
In der Luft er aufwärts sauset –
Tief verstummt des Knechtes Rufen.

Gottverächter, Flügelspreiter!
- Stürme strählen seine Locken -
Ach, was gölte unserm Reiter
Jetzt ein Klang von Kirchenglocken!

Hätten sie mit erznen Zungen
Nicht erzürnet stillgeschwiegen,
Wär’ sein Roß zu Tal gesprungen –
Diesmal mußt’ er weiterfliegen.

Wohin ritt er von der Erde?
Hinzukommen wird gelingen
Vielen, die jetzt hoch zu Pferde
Über unsre Köpfe springen.

Doch daß einer hergekommen,
Kündend, was er dort gesehen,
Dieses habÄ ich nie vernommen
Und das wird auch nicht geschehen.

Julius v. d. Traun

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein, Hans Fraungruber, Wien, Stuttgart, Leipzig 1911
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2006.
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