Der Schenkwirt von Hernlesbrunn
Graf Wok V. von Rosenberg war ein stolzer und strenger Herr, der in seinen Besitzungen genau nach dem Rechten sah.
Umsomehr empörte es ihn, als er im Herbst 1609 vernahm, daß seine Wälder an der Moldau immer unsicherer würden, ja, daß schon zu wiederholten Malen die blutige Leiche eines Erschlagenen aufgefunden ward, ohne daß man eine Spur von den Übeltätern entdecken konnte. Eines Tages kam auch ein Schenkwirt von Hernlesbrunn und bat mit angstvoller Miene, der gnädige Graf möge gestatten, daß er sich eine andere Herberge suche, denn er fühle sich in seinem einsamen Hause nicht mehr sicher; auch nehme die fromme Schar, die zu der nahen, herrlich gelegenen Wallfahrtskirche pilgere, infolge der Greueltaten immer mehr ab. So könne er auch von dem geschmälerten Ertrage seiner Schenke nicht mehr sein Auskommen finden. Zornig fuhr der Graf empor: „Und hast du gar keine Fährte der Verbrecher gefunden?“ „Gnädigster Herr,“ entgegnete der Schenkwirt, „ich meine, daß die Raubgesellen von den bayrischen Forsten herüberkommen und sich in den Steinklüften der Gegend verbergen.“
„Nun denn, so will ich selber mit meinem allzu lässigen Jagdgesinde die Wälder durchstreifen, und es müßte doch mit dem Bösen zugehen, wenn wir den Mordbuben nicht auf die Spur kommen sollten. Ich will noch heute den Scharfrichter von Sobieslau berufen, der soll uns bei der Ausforschung behilflich sein. Du sollst hundert Goldgulden haben, wenn es dir gelingt, uns auf die richtige Spur zu weisen. Bleib also einstweilen nur ruhig auf deiner Schänke, denn bald wollen wir in unseren Wäldern die frühere Sicherheit wiederhergestellt haben.“
Unter tiefen Verbeugungen entfernte sich der Wirt mit dem Versprechen, daß er getreulich mithelfen wolle.
Wok begab sich nach seinem Marstall und sah im Hofe, wie eben der Schenkwirt sein Rösslein anspannte, mit dem er zum Schlosse gefahren war.
„Schenkwirt, wo hast du den schönen Schimmel her? Ich möchte wetten, er stammt aus meinen Rosenberger Gestüten,“ fragte Wok.
„Gnädigster Herr,“ entgegnete der Wirt, „es ist auch so. Euer Schloßhauptmann hat ihn verhandelt, da er am rechten Hinterhufe eine Blutgeschwulst hatte, und ich habe ihn billig erstanden. Es ist wirklich ein edles Tier; seht doch, was er auf der Stirn für einen schönen schwarzen Fleck hat, als wäre er gekennzeichnet, daß er mir nicht verloren gehen kann.“
„Schenkwirt,“ sagte Wok, „das Roß mußt du mir zurückbringen. Du sollst den doppelten Kaufpreis dafür erhalten.“
„Gnädigster Herr,“ entgegnete der Wird, „das Roß ist mir nicht feil; ich habe es meinem Schwager so gut wie verkauft.“
Zornig über den Widerspruch stampfte Wok mit dem Fuße in den Sand und rief: „Ich will das Roß binnen drei Tagen zurückhaben oder dir soll der Kopf vor die Füße gelegt werden. Mein Rentmeister wird dir den Kaufpreis zahlen und du bringst die Sache mit deinem Schwager wegen des Kaufes in Ordnung.“
Wok schritt dem Stalle zu und der Schenkwirt eilte, als wäre der Scharfrichter schon hinter ihm, mit seinem Gespann dem Walde zu unter dem höhnischen Gelächter der umstehenden Schloßknechte, denen die Sache Spaß gemacht hatte.
Die Streifung der Wälder, an der sich Wok selbst beteiligt hatte, war ohne Erfolg geblieben. Umsomehr erbitterte es Wok, als er nächsten Tages die Nachricht empfing, daß man den Diener eines reichen Kaufherrn aus Prag, welch letzterer schon sehnlichst von Wok wegen Abschließung eines Kaufes erwartet wurde, in der Nähe der Schenke ermordet aufgefunden hatte. Neben der Leiche des Dieners lag der Hut des Kaufmannes, sonst fand man von dem Herrn keine Spur. Am Abend zuvor hatte ihn einer der Jagdleute Woks in der Schenke vergnügt beim Bierkruge getroffen und auch von ihm erfahren, daß er in der Waldschenke übernachten und am nächsten Tag ins Schloß fahren wolle, um Wok den Kaufpreis zu übergeben. Wok, zu dessen Tugenden die Sparsamkeit nicht gehörte und der oft an Geldverlegenheiten litt, war nun noch mehr erbittert und im höchsten Zorne beauftragte er den unterdessen eingetroffenen Scharfrichter, mit den Knechten die Wälder nochmals zu durchstreifen und alles aufzubieten, um doch endlich des frechen Raubgesindels habhaft zu werden.
Ein furchtbares Wetter wütete in der Nacht, der Sturm brauste und düstere Finsternis bedeckte das Land.
Ein schwaches Lichtlein schimmerte vom Berge hernieder aus dem Fenster der Waldschenke. Der Schenkwirt und sein Weib standen im Hinterstübchen des Hauses vor einer schweren Eisenkiste und ein grinsendes Lächeln überflog ihre Gesichter bei dem Anblick des Geldsäckleins, das der Mann eben in die Truhe schob, ängstlich nach dem Fenster spähend, als fürchte er, es könnte jemand hereinblicken.
Plötzlich horchte er auf, an der Haustür wurde gepocht. Schnell schloß er die Kiste und schritt dem Ausgang zu. Immer ungestümer erfolgte das Pochen. Doch erst, als er durch das Fenster erkannte, daß es Leute vom Schlosse seien, öffnete er. Erschrocken trat er einen Schritt zurück, als er die riesenhafte Gestalt des Scharfrichters in der Türe sah.
Zitternd fragte er nach ihrem Begehr in so später Nacht.
„Dich in den Hungerturm führen,“ brüllte der Scharfrichter den erschrockenen Wirt an.
„Gott sein mir gnädig!“ stammelte erbleichend der Schenkwirt, „was habe ich verbrochen?“
Nun konnte sich der Scharfrichter nicht mehr halten und lachend über die Angst des Wirtes sagte er, es sei nur Spaß gewesen.
Erleichtert holte der Wirt Bier herbei.
„Von den neuen Mordtaten hast du wohl schon gehört?“ fragte der Scharfrichter; „wann fuhr der Kaufherr mit seinem Diener weg von hier?“
„Beim ersten Morgengrauen spannte der Diener die beiden Rappen vor das Wägelchen und dann fuhren sie der Burg zu,“ entgegnete der Wirt.
„Bemerktest du niemand Verdächtigen herumschleichen?“ fragte der Freimann weiter.
„Zwei Schützen, wahrscheinlich Wildschützen oder Pascher, verlangten durch das Fenster Bier,“ entgegnete der Wirt, „gerade als der Kaufherr aus seinem Säcklein die Geldstücke zur Begleichung der Zeche nahm; am Ende sind diese die Mörder gewesen!“
„Nun, so wollen wir suchen nach ihnen, komm also mit und hilf!“
„Nicht um alles in der Welt wage ich mich jetzt in den Wald, wo solch verdächtiges Gesindel herumstreift,“ wehrte ängstlich der Wirt ab.
„Dir soll nichts geschehen, ich bleibe an deiner Seite, also nur mit!“ befahl der Henker. Auf dies hin entschloß sich der Schenkwirt, wenn auch äußerst zaghaft, mitzugehen. Einige Schritte vor der Schenke blieb der Scharfrichter stehen und horchte. „Ich glaube Pferdegetrappel zu hören,“ sprach er.
„Ja, ja,“ sagte einer der Knechte, „dort vom Abhang kommt ein Wagen.“ „Gott steh uns bei!“ rief der Wirt, „das ist der Wagen des Kaufherrn.“ Unterdessen war der Wagen herangekommen, ein Knecht fiel den Pferden in die Zügel und brachte das Gespann zum Stehen. Im Wagen lag mit zerschmettertem Haupte der reiche Kaufherr. „Die Strolche,“ sagte der Henker, „haben die beiden Ermordeten auf den Wagen geladen und das Gefährt davongejagt. Der Diener, den wir fanden und der Hut des Kaufherrn sind aus dem Wagen gefallen.“
„Aber zum Kuckuck,“ sagte der Knecht, der die Pferde hielt, „Schenkwirt, da ist ja dein Schimmel angespannt, den unser Ritter im Schloßhofe letzthin von dir begehrte. „Richtig, es ist derselbe Schimmel,“ stimmten alle Umstehenden bei, „wie kommt der an den Wagen?“ Sprachlos stand der Wirt; da faßte ihn der Henker an der Schulter und donnerte ihm ins Ohr: „Du hast die Mordtat verübt, gestehe nur!“ „Ich habe niemand erschlagen,“ sprach mit unsicherer Stimme der Wirt. Aber die Gestalt des Scharfrichters stand drohend wie ein Gespenst vor em Geängstigten. „Du bist der Mörder, gestehe!“ wiederholte der Scharfrichter. „Du hast die Ermordeten auf den Wagen geladen und die Pferde angespannt und sie dann hinausgejagt, um uns glauben zu machen, der Mord wäre im Walde geschehen. In der Eile hast du dich im finsteren Stalle vergriffen und statt des zweiten Rappen deinen Schimmel erwischt, der nun das Gefährt wieder zu deiner Behausung zurücklenkte.“ Der Schankwirt brach zusammen und er und das herbeigeholte Weib gestanden nun die Tat. So war das eigene Roß des Wirtes zum Verräter geworden. Das Verhör auf der Burg ergab, daß alle Mordtaten von diesem, selbst immer Furcht vor den Übeltätern heuchelnden Ehepaar verübt wurden.
Der Hungerturm zu Rosenberg bildete die letzte Wohnstätte des Mörderpaares und als seltsames Wahrzeichen sproßten auf dem Dache dieses Hunger- und Jakobinerturmes zwei kleine Fichtenstämmchen, im Volksmunde die Geister des gerichteten Schenkwirtes und seines Weibes genannt.
Hans Waltenberger
Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein, Hans Fraungruber, Wien, Stuttgart, Leipzig 1911
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2006.
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