Der Wassermann

Unsere Vorfahren im schönen Böhmerwalde haben an Wesen geglaubt, die in den Bächen und Flüssen wohnten, sich nicht selten den Menschen zeigten und auch freundschaftlich mit ihnen verkehrten. Der Wassermann wurde von den alten Nix (Nichus = Nickel) genannt. Die Erscheinung des Wassermannes war sehr bekannt. Bald saß er mitten in der Moldau auf einem Steine, bald begegnete er Leuten oder kam selbst in die Behausungen, die nahe dem Flusse lagen. Er war ein wildbärtiger Mann mit wassergrünem, dreieckigem Hute, breitem Schilfgürtel, großen Stiefeln und grauem Anzuge. Kinder wie Erwachsene, die er in Teiche, Seen oder Flüsse lockte, zog er hinab in die Tiefe und führte sie da in seinen Kristallpalast. Mit besonderer Vorliebe zeigte er sich den Holzflößern. Bei seiner Erscheinung standen die Flößer einen Augenblick wie versteinert, doch als ihnen der Wassermann mit dem Finger drohte, ergriffen sie schreiend die Flucht.

Öfters besuchte er die Häuser am Ufer der Bäche und Flüsse. Nach seinem Eintritt ging er stracks auf die Ofenbank zu, setzte sich und ruhte aus, ohne ein Wort zu verlieren. Die Kleider und Stiefel trieften von der Wassermenge. Etwa eine Stunde verweilte der ungebetene Gast in menschlicher Gesellschaft beim warmen Ofen, schritt stumm, wie er gekommen, zur Stubentür hinaus und verschwand in den Fluten des Wassers.

Johann Tuma

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein, Hans Fraungruber, Wien, Stuttgart, Leipzig 1911
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2006.
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