Die versunkene Stadt

Bis dicht an den Fuß des weitberühmten Untersberges erstreckte sich in den alten Zeiten eine Römerstadt, Castrum Juvavium oder Juvavia, zu deutsch Helfenberg geheißen: Julios Cäsar soll zum Schutz des Römerreiches gegen die Deutschen eine Besatzung in dieses Kastell gelegt und Kaiser Hadrian eine römische Kolonie dort angesiedelt haben. Diese Stadt wuchs an Gebäuden und Einwohnern und breitete sich weit aus über das fruchtbare Gefilde, in dem das heutige Salzburg liegt. Aber die Einwohner ehrten und fürchteten letztlich weder die Götter noch den einigen Gott und versanken ganz und gar in den Schlamm der Laster.

Deshalb verhängte der Himmel sein Zorngericht über die sündige Stadt. In einer schrecklichen Nacht versank Juvavia mit Mauern und Mannen, und an die Stätte, wo es gestanden, trat ein weites und tiefes Moor, das noch heute zu sehen ist. Es ist nicht gut, ihm zu nahen, Gespenster irren dort und zur Nachtzeit locken täuschende Lichter den Wanderer in ungeheure Tiefen. Unter dem Erzbischof Johann Ernst, Grafen von Thun, suchte man die versunkene Stadt in den Moorgründen auf, die sich von Leopoldskron bis zum Untersberge hin erstrecken. Eine alte Mauer, die auf einer Seite unweit des Daunschlosses im Weingarten vom Mönchsberge herabläuft, hielt man für eine Ruine der berühmten Römerstadt, und eine alte Inschrift, die jener Erzbischof in Marmor hauen ließ, dient der Sage als Stütze.

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein, Hans Fraungruber, Wien, Stuttgart, Leipzig 1911
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2006.
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