Eine vergessene Heimstätte „böhmischer" Granaten

In den Zillertaler Alpen, unweit der Stelle, wo heute die Berliner Hütte steht, lag einst die Schwarzensteinalm auf einem grünen Grasfleck, oben, unten, links und rechts von Eis umgeben, eine Oase in der kalten Wüstenei. Rechts aber, auf bräunlichen Felsen, auf denen kein Grashalm gedeiht, stand die Hütte des „Granatendickl" zwischen Hörn- und Waxegg-Gletscher, am Ausläufer des sogenannten Roßrückens, der mit seinem Grat die beiden starren Eisströme auseinanderhält.

Als die Granaten im Trümmerwerk dieser Felsen entdeckt wurden, was um die Zeit um 1750 geschah, dachte man nicht daran, dass sie zu etwas anderem gut sein könnten, als zu Feuersteinen an den damals üblichen Gewehren. Der Bauer, welcher den Fund gemacht hatte, bewarb sich bei der salzburgischen Regierung um die hohe Erlaubnis zu weiterem Einsammeln, die er denn auch gegen Erlegung von jährlich einem Gulden sowie gegen das Versprechen, Musterstücke zur Einsicht für das hochfürstliche Kabinett abzuliefern, erhielt.

Er sprengte nun hier am Roßrücken die granatenhaltigen Felstrümmer ab, trennte die Granaten durch Reiben vom Muttergestein und begann den Verkauf der „Feuersteine". So trieb er es etwa zwanzig Jahre lang, bis er durch Zufall erfuhr, dass solche Steine in Böhmen gekauft, geschliffen und zu Schmuckgegenständen verwendet würden.

Aber erst sein Enkel nützte diese Erfahrung ergiebig aus. Er kaufte im Jahr 1827 das „Roßrückenkar" um sechsundzwanzig Gulden und ließ sich auf seine Unternehmung belehnen.

Die Granaten wurden hauptsächlich oben in der Gegend der Schwarzensteinalm gewonnen, wo man auch für die Arbeiter eine notdürftige Unterkunftshütte errichtete. Die Steine wurden über das Hornkees in Kraxen und Holzschlitten zur Hütte am Roßrücken gebracht, welches stets die Hauptniederlassung blieb. Hier wurden die von den umhüllenden Felsbrocken bereits oben ziemlich durch Stampfen gesäuberten Granaten noch gänzlich von dem Muttergestein befreit und dann in Fässchen auf Mauleseln nach Mayrhofen gebracht. Dort ließ man sie vom Zillerbach nochmals tüchtig abrollen und verkaufte sie nach Prag als „böhmische Granaten".

Die Hütte Kreidl's — so hieß der Bauer— befand sich, wie heute noch, am westlichen Abhang des Roßrückens auf der Seite des Waxenegger Gletschers. Im Jahr 1836 kam aber ein gewisser Rieder und ließ sich auf der anderen Seite, und zwar auf dem obersten Kamm, nieder. Auch dieser erhielt die „Belehnung", und Kreidl erhob vorerst keinen Einspruch.

Endlich aber strengte er, in seinem Besitz gestört, gegen Rieder und das Ärar, welches ihn selbst 1827 mit dem Roßrückenkar belehnt hatte, einen Rechtsstreit an. Das Ärar berief sich auf die Deutung des Wortes „Kar" als „Weidebucht" und behauptete, das Recht gehabt zu haben, den Rieder zu belehnen, da sich seine Ausbeutungsplätze jenseits der Grenze des Pflanzenwuchses, also nicht mehr in einem „Kar", folglich auf einem Boden befänden, über welchen dem Ärar das Verfügungsrecht unbestreitbar zustehe.

Es handelte sich um den Begriff des Wortes „Kar". Dass dort, wo Rieder sein Bergwerk anlegte, von einem „Weideplatz" keine Rede sein konnte, ging nicht nur aus dem Mangel an Pflanzenwuchs auf jenen Felsen, sondern auch aus der Unmöglichkeit hervor, dass Vieh über den zerklüfteten Gletscher und über glatte Steinplatten dorthin gelangen konnte.

Wie groß war aber das Erstaunen einer Untersuchungskommission — die wievielte es war, findet sich nicht angedeutet —, als bei einer abermaligen Besichtigung der Gegend sich an einem Ort Schafe zeigten, wohin selbst ein geübter Bergkletterer nur mittels Steigeisen gelangen kann!

Kreidl hatte diese Schafe, um die Felsgegend zu einem Weideplatz zu machen, von Knechten hinauftragen lassen. Aber die List half ihm nichts, denn der Prozess wurde, nachdem er zehn Jahre gedauert und viel Geld verschlungen hatte, vom Ärar gewonnen.

Mit Ausnahme des einleitenden Satzes im ersten Absatz wörtlich aus dem „Deutschen Alpenbuch" von Heinrich Noe, Band Tirol und Vorarlberg, Glogau, bei Carl Flenning, ohne Datum, vermutlich Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts.

Quelle: Paul Ippen, Denk- und Merkwürdiges aus dem österreichischen Bergbau, Wien 1965, S. 15 - 17.
© Digitale Version: www.SAGEN.at