15. [Hirtenkönig]

In den Gebirgsdörfern des polnischen Schlesiens stecken am Neujahrstage die jungen Bauern eine hohe Stange in die Erde, auf welcher ein Hirtenhut befestigt ist. Diejenigen, welche auf einem Sallasche oder auf einer Polane ihre Herden weiden, vereinigen sich zu einer Gruppe. Jede einzelne Gruppe eilt dann dem aufgesteckten Ziele zu. Wer es zuerst erreicht, ist der Hirtenkönig dieser Gruppe und die Hirten müssen alle seine Befehle vollziehen. Hat nun jede Gruppe ihren König auf diese Weise erhalten, so kommt die Reihe an die Könige. Alle Könige stellen sich in eine Reihe und bilden eine Kette mit ihren Händen, und welcher am ehesten sich von der Kette losreißt und am ersten das Ziel erreicht, ist wieder der König aller Könige. Auf diese Art vergeht der Neujahrstag. Diese Würde behält einer für das ganze Jahr. Das nächste Jahr folgt dasselbe, und jeder Bauernjunge bemüht sich, seinem Obern die Würde abzugewinnen.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 292
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, Mai 2005.
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