3. [Das Christspiel im nördl. Böhmen]

In Warnsdorf bei Rumburg besteht wie in vielen andern Ortschaften Böhmens der Gebrauch, daß während der Adventszeit zehn- bis zwölfjährige Kinder, den heiligen Christ und dessen Begleiter vorstellend, des Abends die Häuser des Dorfes besuchen. Sie vereinigen sich zu Gesellschaften, deren jede wenigstens aus fünf Mitgliedern bestehen muß. Jedem wird eine bestimmte Rolle zugetheilt; der eine stellt den heiligen Christ, der andere den heiligen Nikolaus, der dritte den h. Petrus, der vierte einen Engel und der fünfte den Ruprecht vor. Die Verkleidung der Kinder ist einfach. Sie wandern von Haus zu Haus und an die Fenster klopfend fragen sie: „Darf der heilige Christ hineinkommen?“ Wird ihnen mit einem „Ja!“ geantwortet, so geht zuerst derjenige in die Stube, der den Engel vorstellt, und spricht:

"Vom hohen Himmel kommen wir her
und bringen von dort viel neues euch her:
der heilige Christ steht vor der Thür, —
O heiliger Christ, komm doch herein!
Der Stuhl wird dir schon bereitet sein."

Der heilige Christ tritt nun in die Stube, Er zeichnet sich von den übrigen dadurch aus, daß er eine Krone von Goldpapier auf dem Kopfe und ein Körbchen, mit Nüssen gefüllt, am Arme trägt. Er spricht:

"Schön guten Abend zu dieser Frist!
Bin auch selbst der heilige Christ,
bin vom hohen Himmel herabgekommen
und habe zu beschauen mir vorgenommen,
ob die Mädchen und die Knaben
ihr Gebet verrichtet haben.
Ei, haben sie dieses alles gethan,
so hab ich draußen für sie einen Wagen stahn;
der ist geziert mit Gold und Gaben,
davon sollen sie zum Geschenke haben.
Nikolaus, Nikolaus, mein treuer Knecht,
komm herein und sag' mir die Wahrheit recht!"

Diesem Rufe folgend, erscheint nun Nikolaus; er trägt meistens eine papierne Bischofsmütze auf dem Kopfe und hält in der Hand einen langen Stab, der wahrscheinlich einen Bischofsstab vorstellen soll. Nikolaus spricht zum heiligen Christe:

"Ach heiliger Christ! Wenn ich dir wollte die Wahrheit sagen,
hätt' ich über die Kinder gar viel zu klagen.
Wenn sie aus der Schule gehen,
bleiben sie auf allen Gassen stehn,
und alles, was sie im Munde führen,
ist fluchen, schwören und sakramentieren.
Sie können nichts als die Bücher zerreißen
und die Blätter in alle Winkel schmeißen:
solche Possen treiben sie!
Ach heiliger Christ, hätt' ich Macht wie du,
ich schlüge mit Ruthen und Peitschen zu!"

Hierauf entgegnet der heilige Christ:

"Ach Nikolaus, verschone doch das kleine Kind!
Verschone doch das junge Blut!"!

Dann singen die drei, nämlich der Engel, der heilige Christ und Nikolaus:

"Seid getrost, ihr lieben Kinder,
ihr noch kleinen Adamssünder!
Gott wird euer Erlöser sein. —
Schickt den heiligen Petrus herein!"

Petrus tritt ein; er hält zwei große Schlüssel in der Hand, mit denen er öfters klingelt, während er spricht:

"Petrus, Petrus werd ich genannt,
die Schlüssel trag ich in meiner Hand;
ich schließe den Himmel auf und zu,
wer gutes thut, kommt auch dazu, —
Ruperus, Ruperus komm herein,
die Kinder wollen nicht folgsam sein!"

Ruprecht unterscheidet sich in seiner Kleidung von den übrigen. Er trägt einen Pelzrock, den er jedoch so angezogen hat, daß die Haare nach außen gekehrt sind; auf dem Kopfe hat er eine Pelzmütze und in der Hand hält er eine Birkenruthe; außerdem hat er sich das Angesicht schwarz bemalt. Auf den Ruf des Petrus öffnet er nun die Thür, stolpert über die Thürschwelle, fällt der Länge nach auf den Fußboden, springt wieder auf und schlägt mit seiner Ruthe um sich, während er folgende Worte mehr schreit als spricht:

"Eine Thürschwelle ist mir unbekannt,
ich falle wie ein Sack voll Sand,
fliez, flaz, Flederwisch!
Mit der Magd unter den Tisch,
mit der Magd in die Helle!1)
In der Stube ist mirs gar zu warm
und draußen ist mirs gar zu kalt.
Ich muß mich in die Helle machen,
muß sehn, was die alten Weiber machen!
Legen die Hühner viel Gier? —
Ist der Flachs hübsch theuer? —
Ist die Katze frisch und gesund?"

Nun geht Ruprecht zu den Kindern, die zu der vom heiligen Christe heimgesuchten Familie gehören; diese Kinder fragt er, seine Ruthe schwingend, mit schrecklicher Stimme: ,.Könnt ihr beten?“ — Gewöhnlich wissen die Kleinen, wie wenig das furchtbare Aussehen Ruprechts zu bedeuten hat und lachen ihm kühnlich ins Gesicht; selten fangen sie, vor seiner Ruthe zitternd, zu beten und zu weinen an.

Es treten nun der heilige Christ, Nikolaus, Petrus, der Engel und Ruprecht in einen Halbkreis zusammen und singen:

"Wir genießen die himmlischen Freuden,
indem wir das irdische meiden;
wir tanzen und singen,
wir hüpfen und springen,
Gott Vater vom Himmel schaut zu."

Hierauf wirft der heilige Christ einige Nüsse in die Stube, doch so, daß sie mit Geräusch herumrollen. Von den Eltern erhält er sodann einige Kreuzer. Während sie die Stube verlassen, singen sie:

"Ihr Eltern, gute Nacht,
ihr Eltern, gute Nacht!
Ziehet eure Kinder recht,
auf daß sie zieren das Geschlecht."

1) "Helle" [Hölle] wird in Bauernhäusern ein Raum hinter dem Ofen genannt, wo sich eine Bank befindet.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 282ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, Mai 2005.
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