32. [Die kupalische Nacht]

Am Vorabende des Johannisfestes ist es bei den Landleuten des Krakauer Bezirkes, besonders aber bei jenen, welche gegen die Karpathen hin wohnen, gebräuchlich, mit dem Anbruche der Nacht große Feuer auf dem Felde oder den benachbarten Höhen anzulegen; man bezeichnet sie mit dem allgemeinen Namen „Samstagfeuer“; die Nacht, in welcher sie stattfinden, wird die "Kupalische Nacht"1) genannt. An diesem Abende versammelt sich die Jugend mehrerer benachbarter Dörfer und begibt sich, von einer Musik begleitet, nach demjenigen Orte, wo das Feuer angelegt werden soll. Hier errichtet man einen Haufen aus Reisich, Baumästen und verschiedenen andern Brennstoffen und zündet denselben mit jenem Feuer an, welches durch scharfes reiben zweier Holzstangen erzeugt wird. Während nun die Flammen hell auflodern, tanzen die einen um das Feuer herum, andere springen darüber und schleudern brennende Pechkränze hoch in die Luft empor. Dann erscheint eine Schar von rüstigen Burschen, welche mit den mit Pech überzogenen brennenden Besen nach einem bestimmten Gegenstande um die Wette laufen. Wer das Ziel zuerst erreicht, erhält eine Pfauenfeder, die er das ganze Jahr hindurch als Auszeichnung tragen darf. Nicht selten kommt es vor, daß auch die Herde um das Feuer getrieben wird, in der Meinung, sie gegen jede Krankheit und Seuche sicher zu stellen. An diesem Tage sammeln die Landleute verschiedene Kräuter, welche zu Krankenheilungen dienen, wobei sie den Glauben hegen, daß die Wirksamkeit der an diesem Tage gesammelten Kräuter eine weit größere sei. Die abergläubischen suchen ferner die Blüte des Farrenkrautes, welche nach der Meinung des Volkes nur um diese Zeit sich entfaltet und in einem Augenblicke wieder abfällt. Wem es gelingt, eine solche Blüte zu finden, der könne zu jeder Zeit unsichtbar werden; alle gesperrten und verriegelten Thüren oder sonstigen Behältnisse öffnen sich sogleich von selbst bei Berührung mit dieser wunderbaren Blüte. Mit deren Hülfe ist man auch im Stande, die unter der Erde tief verborgenen Schätze zu finden.

Das Volk erzählt sich hierüber folgendes:

Einst gieng ein Landmann an demjenigen Tage, da die Samstagfeuer angezündet werden sollten, in einen nahegelegenen Wald, um seine Kuh zu suchen; allein seine Mühe war vergebens. Während er aber im Walde umhergieng, fiel ihm zufälligerweise die Blüte des Farrenkrautes in den weiten Obertheil eines Stiefels, so daß er davon nicht einmal eine Ahnung hatte. Und alsbald wüste er den Ort, wo die Kuh sich befand; doch nicht etwa dieses allein, sondern es war ihm auch der Ort und die Stelle bekannt, wo reiche Schätze von der Erde bedeckt sind. Da ihm aber die nöthigen Werkzeuge fehlten, so eilte er schnell nach Hause um solche zu holen. Vor der Arbeit zog er aber die Stiefel aus und verlor diese wunderbare Blüte. Nun wollte er hinausgehen, um die Schätze heimzubringen, allein nach dem Verluste jenes Zaubermittels vergaß er sogleich den Ort, wo die Schätze sich befinden, und muste unverrichteter Sache nach Hause zurückkehren. Alles schien ihm jetzt nur ein Traum gewesen zu sein. 2)

1) Über Kupalo s. Hanusch slaw. Mythus 200 fg, Grimm Myth. 590.
2) Vergl. S. 266.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 309f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, Mai 2005.
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