57. [Die Galgenmännchen]

Die Zauberer bedienten sich verschiedener Geräthe und Mittel. Wie man Bilder aus Wachs machte (vergl. Grimm M. 1045), so schnitzte man auch solche aus Wurzeln. Dieß geschah in Nied. Österreich, Schlesien und in Böhmen, wo man solche Männchen Žarodoj heißt. Diese Erd- oder Galgenmännchen waren kleine aus harten Pflanzenwurzeln verfertigte Bilder, einen halben Fuß lang, die irgend einen berühmten Zauberer oder eine Hechse [Hexe] vorstellten und denen man die Macht zuschrieb, das Glück oder Unglück des Menschen in den Händen zu haben. Gewöhnlich gab man ihnen die Form eines Weibes, seltner eines Mannes, kleidete sie sauber und verwarte sie an einem geheimen Platze, wo man sich mit ihnen beratschlagte.

Die Entstehung dieser Erdmännchen leitet der Aberglaube von einer Pflanze her, die nach der Meinung des Volkes (in Nied. Österr. und Böhmen) aus dem Harne empor wächst, den ein unschuldig gehängter unter dem Galgen von sich gelassen. Man glaubte, daß die Wurzel dieser Pflanze der Gestalt eines Menschen vollkommen ähnlich sei. Es galt für sehr gefährlich diese Wurzel aus der Erde herauszureißen, da man wähnte, daß dieselbe, gewaltsam ausgerissen, ein Geschrei ausstoße, an dessen Folgen der herausreißende sterben müsse. Der Aberglaube riet deshalb sich bei einem solchen Geschäfte die Ohren mit Wachs zu verstopfen und die Pflanze an den Schwanz eines schwarzen Hundes zu befestigen. Hält man nun diesem ein Stück Fleisch vor, so gibt er sich Mühe, es zu erhaschen, zieht dadurch die Wurzel aus, wird aber durch das Geschrei, welches sich beim ausreißen erhebt, getötet.1)

Bei dieser Entstehungsweise waren natürlich die Galgenmännchen sehr selten, und deshalb erfand man noch andere Arten ihres Ursprunges, indessen waren es immer nur Wurzeln, denen man die nöthige Form zu geben suchte. Die Wurzel sollte, wenn man sie glücklich der Erde entrissen hatte, mit rothem Wein abgewaschen, in weiß und rothes Zeug gewickelt und in ein Kästchen gelegt, alle Freitage aber gebadet und bei jedem Neumond mit einem weißen Hemdchen versehen werden.

Dafür verliehen dergleichen Galgenmännchen, wie man glaubte, ihrem Besitzer alle möglichen Güter und schützten ihn vor jeder Gefahr, Insbesondere dienten sie als die kräftigsten Arzneimittel. Man badete sie im Wasser, welches dadurch eine solche Heilkraft bekam, daß es alle Krankheiten bei den Menschen und Thieren hob. Auch die Zukunft durchschauten diese Erdmännchen und verkündigte sie ihren Besitzern entweder durch eine Bewegung des Kopfes oder auf eine andere verständliche Weise. Wer ein solches Wesen, häufig in einer blechernen Büchse aufbewart, bei sich trug, dem wurde jeder Richter gewogen, auch wenn er früher noch so sehr gegen ihn eingenommen war. Auch brachte es dem Besitzer Glück und ließ ihn nie verarmen: denn ein jedes Stück Geld, das man dem Galgenmännchen Nachts zulegte, war des Morgens verdoppelt. Wollte man seine Dienste lange genießen und sicher gehen, daß es nicht absterbe, so durfte man es nicht zu sehr anstrengen, und in der Nacht nie über einen Thaler zu ihm legen.

Dieser Aberglaube warb von Betrügern vielfach benützt, um den Verblendeten ihr Geld abzunehmen. Gewöhnlich schnitten sie die Wurzeln der Zaunrübe wie Erdmännchen zu, steckten sie voll Hafer und Hirsekörner, und legten sie dann in warmen Sand. Hier fingen die Körner an zu keimen, und war dieß hinreichend geschehen, so wurden die Wurzeln wieder hervorgezogen, die Keime gleich Haaren zugestutzt und die fertigen Wunderdinge aufgeputzt und für schweres Geld verkauft.

Außer der oben angegebenen Behandlung gab man ihnen bei jeder Mahlzeit zu essen und zu trinken, weil sie, wenn man sie übergieng, wie kleine Kinder schreien, die Hunger und Durst haben.

Die Tracht dieses Wunderdinges bestand aus einfachem Leinengewande mit Metallgürtel, den ein rothes Mieder zusammen hielt.

In Wittingau (südöstl. Böhmen) erzählt man, ein Vorsteher einer Bibliothek habe dort nach der gewöhnlichen Arbeit keine Ruhe gehabt und sei oft mit Gewalt aus dem Zimmer getrieben worden. Besonders war dieß der Fall in jenem Zimmer, in welchem Manuscripte und andere seltene Denkmäler aufbewart waren. Es befanden sich darunter auch zwei Žarodoj mit rothem Scharlach bekleidet, und wie in Totenladen nach ihrer Größe liegend. An denselben befanden sich besondere Zeichen als wenn sie verschiedenes Geschlechtes wären, und es soll sich Karl der IV. ihrer bedient haben, um künftige Dinge zu erforschen. Unter anderm erzählt man, sie hätten wie kleine Kinder gebadet werden müßen und zwar mit unverfälschtem Weine. Wenn dieß nicht geschah, so erhoben sie ein Geschrei wie neugeborne Kinder, und ließen damit nicht nach, bis ihnen ihre ordentliche Pflege wiederfuhr. Nach dem Tode Karls fand man sie beide tot, und hat sie so auf bewart. Aber auch als tote übten sie eine Macht auf den Menschen aus. Bei einer Feuersbrunst sollen sie verbrannt sein.

1) Übereinstimmend mit dem Verfahren in Gr. Myth. 1154.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 254ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, April 2005.