66. [Eine Drude wird bestellt]

In der Nähe des Dorfes Göpfritz in der Wild (Nied. Österr.) befindet sich in einem Walde eine schöne, von vier Dämmen eingeschlossene Wiese. In der Mitte derselben befinden sich drei „Tümpel“.1) Diese Tümpel sind sehr tief, und wimmeln von Fischen. Betritt man die Wiese, so schwankt der Boden unter den Füßen. Die Leute glauben, daß hier der alte Kaiser mit seinen Soldaten versunken sei. Auf jeder Seite der Wiese liegen zwei ziemlich große, oben abgerundete Steine. Die innere Seite eines jeden Steines ist mit sonderbaren Zeichen bedeckt, Ein solches Zeichen findet sich häufig auf den Thüren der Wandschränke in den Bauernhäusern. Es ist der sternförmige, siebeneckige „Drudenfuß.“

Die Leute glauben, daß sich die Druden bei diesen „Drudensteinen“ zu versammeln pflegen,2) um zu verabreden, welche Menschen von ihnen getreten werden sollen. Wenn nämlich jemand „Alpdrücken“ hat, so glauben die Leute, eine Drude trete ihn mit ihren siebeneckigen Füßen, Um sich vor den Druden zu schützen, mahlt man Drudenfüße an die Außenseite der Schränke und Bettstellen, und befestigt einen Mistelzweig an die Thürschwelle. Ferner stellt man jeden Abend beim ablegen der Kleider die Schuhe so unter das Bett, daß die Spitzen derselben nach außen stehen.

Wir hatten - so erzählte mir ein junger Mann aus Göpfritz - einst einen Knecht, der hieß Hans. Eines Morgens sagte Hans zu mir: Heute um ein Uhr Morgens hat mich die Drude getreten. Ich antwortete ihm, er möge wahrscheinlich geträumt haben, „O nein“, sprach Hans, „ich war ganz wach. Die Turmuhr hatte eben eins geschlagen, da öffnete sich plötzlich die Fallthüre des Heubodens, und es schritt jemand die Treppe herab. Bei jedem Schritte knisterte und krachte die Treppe, als stünde sie in Flammen. Als das Geräusch aufhörte, kam es bleischwer über mich. Allein ich ermannte mich, drehte mich um, und ergriff die Drude bei den Haaren, indem ich sagte: Komm' morgen um zwölf Uhr Mittags. Als ich das gesagt hatte, ließ ich die Drude los, und sie entfernte sich sogleich ohne Geräusch. Heute kommt sie gewiß.“

Ich lachte zwar ungläubig, gieng aber doch schon um halb zwölf Uhr in die Gesindestube. Hans saß allein bei Tische. Kaum hatte er den Löffel gewischt, so schlug es zwölf. Noch war der letzte Glockenschlag nicht verklungen, da öffnete sich die Thüre, und ein altes Weib trat in die Stube. Sie war einäugig und hatte ein graues Tuch lose um den Kopf gebunden. Ihre Füße waren auffallend kurz und breit. Sie gieng, ohne zu sprechen, bis in die Mitte des Zimmers, blickte Hansen scharf an, und streckte ihm die offene Hand entgegen. Hans nahm schnell ein bereitgehaltenes Stück Brot, legte einen Viertelkreuzer darauf, und gab das dem Weibe. Diese nahm das Geschenk, wandte sich um, und verließ lautlos die Stube.

Hans aber gieng noch an demselben Tage in den Wald, holte einen Mistelzweig, und befestigte ihn an die Thürschwelle des Stalles.

Es besteht auch die Meinung unter den Leuten, daß blödsinnige Weiber mit kurzen, breiten Füßen in ihrem achtundsiebzigsten Jahre zu Druden werden.

1) Mhd. tümpfel, (gurges) : tiefe Stelle, Wirbel.
2) Vgl. Panzer bair. Sag. 1,106 und 151.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 270ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, April 2005.