10. [Die schlafenden Krieger]
Unweit Makow - so erzählt man in Auschwitz - lebte ein armer, frommer
Hirte. Zu dem kam einst ein Mann und fragte ihn, ob er nicht einen Wunsch
habe. Der Hirt antwortete, er möchte einmal in den Felsen hinein,
von dem er schon so viel wunderbares erzählen gehört habe. Der
Mann führte ihn hin, klopfte dreimal mit dem Stabe an den Felsen
(in den Karpathen [Karpaten]) und beide giengen hinein. Nach kurzer Weile
fand sich der Hirt allein; er gieng aber weiter und kam auf einen Platz,
der so groß war wie ein Schlachtfeld. Dort fand er alle Soldaten
schlafen, das Fußvolk stehend auf die Gewehre gestützt; die
Reiter hatten den einen Fuß in den Steigbügeln, den andern
schon über den Sattel geschwungen. Dann kam er in ein Zimmer, wo
ein Greis auf einem Stuhle saß, während sein langer Bart schon
2 ¼ Mal um den Tisch gewickelt war. Leise schlich sich der Hirte
hinaus und erzählte in Makow, was er gesehen hatte.
Das Volk glaubt, jener Greis sei ein Anführer oder ein Kaiser, und
wenn sein Bart dreimal um den Tisch gewachsen sei, so werde das Ende der
Welt kommen. Die Soldaten schlafen und erwarten den letzten Krieg; dann
werden sie hervorkommen und es wird ein langer Kampf beginnen. Es wird
König gegen König, Bruder gegen Bruder fechten, bis endlich
alles untergeht.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 121f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.