12. [Sagen von der weißen Frau]

Die Sage von der Weißen Frau ist in Böhmen weit verbreitet. Zu den bekannten (aus Neuhaus, Krumau etc.) fügen wir folgende hinzu.

Auf dem weißen Berge bei Prag stund einst ein Schloß, das im 30jährigen Kriege als Magazin benutzt wurde. Die Soldaten, welche Wache stunden, wurden des Nachts sehr beunruhigt. Da unternahm es ein junger Soldat mit geweihter Waffe dem Spuke Trotz zu bieten. Um Mitternacht vernahm er eine Musik die immer näher kam. Er sah sich um und eine weiße Dame mit langem, weißem Schleier stand bei ihm.

Sie hielt in der linken Hand ein blutrothes Tuch, in der rechten einen Dolch. Sie jammerte über ihr Schicksal und forderte den Soldaten auf, er möge sie erlösen, und zwar dadurch, daß er drei Stiche in die Brust aushalte, ohne einen Laut zu äußern. Er entblöße seine Brust, allein beim dritten Stiche rief er aus: Jesus, Maria, Josef. "Fluch über dich, sagte das Weib, tausendfache Qualen hast du mir bereitet. Sieh dort auf jenem Hügel die fünf jungen Weichselbäume, wenn die so groß sein werden, daß man aus ihnen Bretter schneiden und von diesen eine Wiege machen kann, dann wird der Knabe, der zuerst in die Wiege1) kommt, mich erlösen." Darauf verschwand die weiße Frau und der Soldat lebte nur noch einige Tage. - In Sobieslau wiederholt sich die selbe Sage. Dort ist es einem Nachtwächter begegnet.

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Unweit Holitz in Böhmen ist ein Berg, in welchen die weiße Frau vom Teufel verwünscht ist, nachdem sie sich ihm 40 Jahre vorher verschrieben hatte.

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In der Burgruine Mödling bei Wien ist die Weiße Frau oft gesehen worden, insbesondere von Sonntagskindern. Viele sind von ihr beschenkt worden. Einige haben auch einen schwarzen Hund auf einem Kohlenhaufen liegen sehen und neben ihm ein Männchen mit einem ungeheuren Kopfe, langem Barte und einem Höcker2).

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In Dörfel (bei Ung. Hradisch) ist zweien Schatzgräbern eine weiße Jungfrau erschienen, die ihnen sagte, sie würden den Schatz nicht finden, wenn sie sich nicht auf die Erde legten und duldeten, daß sie sich dreimal über die Männer wälze. Sie konnten die schwere Last aber nicht ertragen.

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Auf dem Vestenberg bei Altenmarkt in Nied. Österr. erschien die weiße Frau einem Hirtenknaben. Diesem sagte sie, am folgenden Tage werde sie als Schlange mit einem Bunde Schlüssel im Munde erscheinen; er solle nur muthig die Schlüssel aus dem Munde der Schlange reißen und dann sei sie erlöst. Als die Schlage aber erschien, lief der Knabe davon. An andern Tage sagte ihm die weiße Frau bitterlich weinend, nun müsse sie noch hundert Jahre auf einen Erlöser warten.

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Im Budweiser Kreise erzählt das Volk von einem alten Mütterchen, welches zu Weihnachten mit einem Bündel von Brennnesseln von Haus zu Haus geht und die Hausfrauen fragt, ob die Mägde schon alles Werch versponnen haben. Erhält es eine bejahende Antwort, so läßt es eine Brennnessel zurück, und das Haus ist dann das ganze Jahr vor Unglück bewart. Erhält es eine verneinende Antwort, so werden die Mägde von dem Mütterchen mit dem Nesselbündel tüchtig durchgepeitscht.

1) Vergl. Grimm Myth. 920.
2) Vergl. oben, was von der Gestalt des Tobtenmannes berichtet ist.


Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 123ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.