13. [Allmählich weiß]

Es sind einmal Holzhackerleute gewesen, die haben zwei Kinder gehabt, ein Madl und einen Buben. Das Madl war drei und der Bube sechs Jahre alt. Das Weib des Holzhackers war ihre Stiefmutter, und sie konnte daher die Kinder nicht recht leiden. Sie wollte die Kinder immer weg haben, und "benzte" fortwährend an ihrem Manne, daß er sie doch wegbringe. Er war des benzens endlich müde, und versprach ihr's. Weil er tief im Walde Holz hackte, so musten ihm die Kinder täglich die "Jause" hinaustragen. Damit sie aber den Platz fanden, wo ihr Vater arbeitete, so giengen sie nur dem Halle nach, der durch's hacken entstund.

Da band nun eines Tages der Vater in einer ganz andern Gegend des Waldes einen eisernen Hammer so an, daß derselbe vom Winde hin und her bewegt immer an den Baum anschlug. Das that er um die Kinder irre zu führen. Als nun diese wieder mit der Jause hinaus giengen und den Hall hörten, giengen sie darauf zu. Wie eschracken sie aber, als sie statt ihres Vaters den eisernen Hammer sahen. Sie wollten sogleich umkehren, allein sie wüsten nicht mehr aus, denn sie waren schon zu tief in den Wald gekommen. Nun fiengen sie zu jammern und zu weinen an und giengen weiter; dabei kamen sie immer tiefer in den Wald hinein. Schon waren sie zwei Tage umhergeirrt, und die Jause, die sie für den Vater mitgenommen hatten, war längst aufgezehrt, so daß sie schon der Hunger zu quälen anfieng. Da kamen sie zu einem Wege, der sich gegen zwei Seiten hin theilte. Das Mädchen sagte zu ihrem Bruder: wir wollen uns jetzt trennen, ein jedes von uns soll einen andern Weg gehen; gehst du rechts, so gehe ich links; gehst du links, so will ich den Weg rechts nehmen. Der Bruder stellte es ihr frei, und sie wählte den Weg rechts.

Als sie nun so eine Weile gegangen war, begegnete ihr eine Frau. Diese war ganz schwarz gekleidet, nur an einem Schuh hatte sie ein weißes Fleckchen. Sie fragte das Mädchen, wo es hingehe, worauf diese ihr alles erzählte. Da sagte die Frau: gehe mit mir, ich werde dir zu essen und zu trinken geben; auch kannst du mich erlösen, wenn du das thust, was ich dir sagen werde. Das Mädchen versprach es und gieng mit ihr.

Die Frau führte sie nun in ein Schloß, gab ihr zu essen und zu trinken, dann sagte sie zum Mädchen, indem sie auf einen Hügel zeigte: um elf Uhr in der Nacht sollst du dich da auf diesen Hügel hinaufstellen; es werden dir feurige Schlangen, Löwen und andere wilde Thiere vorkommen; diese werden auf dich losfahren, du brauchst dich aber durchaus nicht zu fürchten, es wird dir nichts geschehen. Bei allem dem darfst du dich nicht umschauen, sonst wäre es für uns beide gefehlt.

Das Mädchen that alles, wie ihr die Frau geheißen hatte. Sie überstand die Furcht vor den feurigen wilden Thieren glücklich, schaute sich auch nicht um, und gegen zwölf Uhr war alles verschwunden. Da kam die Frau zu ihr, brachte ihr etwas zu essen und zu trinken und hernach legte sich das Mädchen schlafen. Die Frau war aber schon um ein hübsches Stückchen weißer geworden.

Des andern Tages trug die Frau dem Mädchen wieder etwas anderes auf. Sie sagte ihr: im Garten des Schlosses stehen sieben Weichselbäume, an jedem lehnt eine Leiter; da müsse sie um eilf Uhr in der Nacht hinaufsteigen, und so von allen sieben Bäumen das, Laub zählen. Um zwölf Uhr müsse sie fertig sein. Es werden wieder die wilden Thiere kommen, um die Bäume herumschleichen und auf sie losgehen wollen. Sie dürfe sich aber nicht irre machen lassen und auch nicht fürchten, denn sonst würden sie die wilden Thiere zerreißen.

Das Mädchen that genau wieder, was ihr die Frau geheißen; und als es zwölf Uhr geschlagen hatte, war sie mit dem zählen fertig, und die wilden Thiere verschwanden. Darauf erschien die Frau wieder und brachte ihr zu essen und zu trinken, worauf sich das Mädchen schlafen legte. Dießmal war die Frau schon zur Hälfte weiß.

Am folgenden Tage trat die Frau zum Mädchen und sagte: heute werde sie das härteste zu überstehen haben, sie solle aber nur ausharren und sich nicht fürchten, es werde ihr nichts geschehen. Sie führte das Mädchen in einen großen Keller; da stunden sehr viele und ungeheure Fässer. Diese müsse sie von eilf bis zwölf Uhr in der Nacht zählen, sagte die Frau; es werden wieder allerhand feurige wilde Thiere hervorkommen, heulen und brüllen und auf sie losstürmen; sie solle sich aber nur nicht irre machen lassen, geschehen könne ihr nichts.

Das Mädchen that wieder genau alles, und um zwölf Uhr war sie fertig und aller Spukverschwunden.

Nun erschien die Frau ganz schneeweiß und sagte zum Mädchen, sie solle mit ihr gehen. Sie führte es jetzt in einen andern Keller, da stunden drei Fässer: eines voll Kupfergeld, eines voll Silbergeld, und eines voll Papiergeld. Da sagte die Frau, das Kupfergeld solle sie den Armen geben, das Silber und Papiergeld aber, sowie das ganze Schloß gehöre ihr, das sei ihr Lohn für die Erlösung. Darauf ist die Frau verschwunden.

Das Mädchen dachte nun bei sich: ich hab so viele Schätze, und wer weiß, wie es meinem Bruder geht! Dabei wurde ihr recht weh im Herzen. Sie machte sich daher auf und gieng in den Wald zurück, ihren Bruder aufzusuchen. Als sie so eine Weile gegangen war, hörte sie im Gesträuche etwas rauschen, und als sie ihre Augen hinwandte, sah sie, daß sich etwas bewegte. Sie dachte, es könne vielleicht ihr Bruder sein, gieng hin und wirklich war es so, sie fand ihren Bruder. Sogleich erzählte sie ihm, was ihr begegnet war, und was sie für ein Glück gehabt habe, und daß sie nun sehr reich sei. Darüber hatte er eine große Freude.

Sie giengen nun in das Schloß. Da konnten sie sich gar nicht satt sehen an all den Schönheiten. Doch fühlten sie, daß ihnen zu ihrem vollen Glücke noch etwas fehle; sie dachten: wir sind jetzt so glücklich, wenn wir nur auch unsern Vater da haben könnten! Wir wollen sehen, ob wir ihn nicht finden. Im Schlosse hatten sie einen alten Kutscher, mit dem fuhren sie fort, um ihren Vater aufzusuchen. Sie waren noch nicht lange im Walde gefahren, so vernahmen sie auch schon das ihnen noch wohlbekannte hacken. Sie fuhren dem Halle nach, und fanden wirklich ihren Vater. Sie erzählten ihm von ihrem Glücke und luden ihn ein, mit ihnen in's Schloß zu kommen. Sie sagten: wenn Ihr uns auch verstoßen habt, so kommen wir doch zu Euch und holen Euch als unsern Vater." Dieser erwiederte: "meine lieben Kinder, daran war nicht ich schuld, sondern eure Stiefmutter." Er fuhr nun mit seinen Kindern in's Schloß, wo sie zusammen recht glücklich und zufrieden lebten, und es gieng ihnen ihr Lebtag gut.1)

1) Aus Münchendorf,durch den Lehrer J. Wurth

Ähnliche Züge finden wir in zwei Märchen bei Grimm: Hänsel und Grethel Nr. 15 und der Königssohn Nr. 121. Ein ähnliches bei G. Sommer, Sagen und Märch. ausThüringen S. 122. Hauptsache ist uns hier der mythische Zug, daß die Frau um so weißer wird, je mehr das Werk der Erlösung vorschreitet. Das ganze scheint eher auf Hel (Gr. M. 289) sich zu beziehen, als auf die "weiße Frau", die der Erlösung harret, obgleich diese (Gr. Myth. 917. A. Kuhn nordd. Sag. Nr. 47) zuweilen auch halb schwarz, halb weiß erscheint.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 125ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.