15. [Wann die Schätze sichtbar sind]

Auch unter den Burgruinen, die sich im wälschen Grunde (Strelek) bei Römerstadt erheben, liegen Schätze, die am Palmsonntage während der Passion gehoben werden können. Zu dieser Stunde gieng ein Weib hinein, nahm Gold in die Schürze, und trug es hinaus; ihr Kind hatte sie aber zurückgelassen. Sie gieng zum zweiten und drittenmale und über den Reichtum vergaß sie ihr Kind. Die Passion war vorüber und der Fels krachte wieder zu. Auf den Rath des Geistlichen gieng sie über's Jahr wieder und fand das Kind unversehrt.

Unweit Libau ist der "rothe Berg", der ebenfalls während der Passion sich öffnet. Die Sage von einer Mutter wird auch dort erzählt. Bei Neudorf in Nied. Österr. wiederholt sich dieselbe Sage. Dasselbe erzählt man von der Ronburg (unweit Drum und Pleißwedel) in Böhmen. Der Glaube ist allgemein, dass sich die Schatzberge schließen, sobald die Leidensgeschichte gelesen ist. Nach mehreren Erzählungen hat das wiedergefundene Kind einen Apfel, der sich dann in Gold verwandelt1)

In Salzkammergute (bei Mitterdorf) ist der Böttingsberg, der öffnet sich am Ostersonntage, wenn zum Hochamte geläutet wird, bei dem dritten zusammenläuten, und schließt sich, sobald das Geläute aufgehört hat. Auch hier wiederholt sich obige Sage.

Zu dem "alten Seeberg" (bei Eisenberg im Erzgebirge) giengen an Palmsontage zwei Männer. Sie sahen auf einer Anhöhe die alte "Seeberg-Jungfer", die noch nicht erlöst ist. - Ein paar andere sahen einst einen Mann, der zwei sich bäumende Schimmel bei den Zügeln festhielt und vor einer kleinen Thür stand. Er bot ihnen ein Schlüsselbund; als aber keiner die Schlüssel nehmen wollte, gieng er voran und führte sie durch mehrere Zimmer, in welchen Gold und Edelsteine aufgehäuft waren.

Im Strelecker Grund, nicht weit von Langdorf (bei Mährisch Neustadt) sind die Schätze am Palmsonntage für gute Menschen sichtbar. Das dort zurückgelassene Kind hielt nach einem Jahre einen Apfel in der Hand und lächelte der Mutter freundlich entgegen.

In den Ruinen in der Umgegend von Weißkirchen (in Mähren) liegen die Schätze während der Passion offen. Auch dort hat eine Frau ihr Kind vergessen. Dasselbe hatte nach einem Jahre gehen und sprechen gelernt und eine weißgekleidete Frau hatte es mit Nahrungsmitteln und Spielzeug versorgt.

Auf der benachbarten Anhöhe Swrczow sah ein Mann ein feuersprühendes Schwein, das einen goldenen Schlüssel im Maule trug. Als es vorbeigelaufen war, rief eine Stimme: du warst nahe daran uns zu erlösen, du hast dich aber geweigert den Schlüssel mit der Hand zu nehmen. Er sah sich um und erblickte eine Weiße Frau. Diese fuhr fort: Hier auf dieser Stelle wird ein Kirschbaum wachsen und wenn er groß genug ist, wird ein Tischler, der noch nicht geboren ist, aus dem Holze eine Wiege verfertigen, und das Kind welches zuerst darin gewiegt ist, wird uns erlösen.

Auf dem Berge Suscharnia (Österr. Schlesien) sind die vergrabenen Geldschätze nur am Palmsonntage während der Leidensgeschichte sichtbar; denn während dieser Zeit bemerkt man auf dem Gipfel dieses Berges bläulich oder grünlich gefärbte Flammen aufsteigen, und man sagt dann, daß das Geld brenne oder auch daß es trockne.2)

1) Noch erinnere ich mich einer Erzählung aus dem Kanton Zug : Am Charfreitage, während in der Kirche zu Baar die Passion gesungen wird, legt der Teufel auf Wildenburg sein Gold an die Sonne, und wer zur rechten Zeit kommt, kann davon so viel nehmen als ihm beliebt.
2) Vergl. Grimm Myth. 923.


Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 134ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.