25. [Zwölf Paare harren der Erlösung]

Der Berg Schubieniza (in Nied. Schlesien) liegt eine kleine Viertelstunde vom Weichselursprunge entfernt. Auf diesem Berge sieht man am Charfreitage und Silvestertage in der Nacht um 12 Uhr halb weiße und halb schwarze Mädchen, bald weinen und fluchen, bald wieder tanzen. Während dieser Erscheinung bemerkt man aufgerichtete schwarze Galgen. Sobald nun einer dieser Galgen umfällt und dabei einen heftigen Knall verursacht, verschwindet alles.

Einst sollen nämlich auf diesem Berge zwölf junge Senninnen mit ihren Herden gewohnt haben. Zu denselben gesellte sich in kurzer Zeit eine gleiche Anzahl junger Knechte. Diese jungen Leute lebten lange Zeit sehr lasterhaft. Als nun später in der ganzen Umgebung die Cholera und auch unter dem Vieh eine Seuche ausbrach, und die Gesellschaft auf diesem Berge von der Cholera und ihr Vieh von der Seuche nicht angegriffen wurden, da begannen die dortigen Dorfbewohner und andere Leute in der Nachbarschaft über die Senninnen und die Knechte zu fluchen und sie zu verwünschen, indem sie sprachen: Gott möge die lasterhaften auf diesem verfluchten und verwünschten Berge für immer erhalten und die Knechte in Galgen umwandeln. - Seit dieser Zeit verschwanden die Herden; aber die Senninnen und die Knechte sind als Galgen sichtbar. Weil ihrer zwölf Paare sind, so glaubt man allgemein, daß man dieselben nur jedes zwölfte Jahr in der Dorfkirche zu Weichsel, am Allerseelentage, um die Mitternachtstunde sehen könne. Sollte nun irgend ein Priester den Muth haben und sich in der 12. Nachtstunde in diese Kirche begeben, daselbst Schlag 12 Uhr die Messe lesen und während dieser heiligen Handlung mit den 12 Brautpaaren die Kopulazion vornehmen, so würden dadurch alle erlöst werden. Aus diesem Grunde versammeln sich die 12 Brautpaare jedes 12, Jahr am Allerseelentage, um die Mitternachtsstunde in dieser Kirche; um ein Uhr verschwindet jedoch alles, und in der Früh findet man in der Mitte der Kirche am Boden einen schwarzen Brief, in welchem u. a. geschrieben steht: Wenn sich kein Priester finde, um die Erlösung auf diese Art zu vollbringen, so solle man den Brief am 3. Tage des Abends wieder an dieselbe Stelle legen, wo er dann um Mitternacht verschwinden werde.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 145f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.