27. [Verwandlung]

Das verwünschte oder gebannte ist unserm Sinnen entrückt und erscheint nur zuweilen in seiner vorigen Gestalt; das verwandelte dagegen beharrt bis zum Zeitpunkte seiner Erlösung in der neuen Gestalt, allen Augen sichtbar (Grimm Myth. 903).

In der Gegend von Namietsch (auch Namiest im Znaimer Kreise in Mähren) lebte ein Fleischer, der einmal auf den Markt gieng, um Vieh zu kaufen. Dort erblickte er ein Schaf, das ihm sehr gefiel; er kaufte es und brachte es nach Hause, und alle bewunderten die Schönheit des Thieres. Da dachte der Fleischer: Es ist schade das Thier zu schlachten, ich will es der Herrschaft schenken. Das that er auch. Das Schaf wurde den übrigen beigegeben, und es wurde dem Hüter bedeutet, auf das neue besonders acht zu haben.

Eines Tages weidete der Hirt die Schafe und die drei Töchter des Gutsherrn kehrten über die Wiese von einem Spaziergange zurück. Da lief ihnen das neue Schaf nach, und wollte sich von dem Hüter nicht zurücktreiben lassen. Als dieses die Töchter sahen, sagten sie zu ihm, er möge es folgen lassen. Der Hüter that es und gieng zur Herde zurück. Die Töchter verwunderten sich, daß ihnen das Schaf beständig folge, und kamen überein, eine jede soll einen andern Weg geben, und welcher von ihnen das Schaf folge, deren Eigentum solle es sein. Sie giengen auseinander und das Schaf folgte dem jüngsten Mädchen, Da nahm diese das Schaf zu sich und sorgte von nun an für dasselbe.

Eines Tages saß sie sinnend auf einer Bank im Parke, und das Schaf hatte sich neben ihr niedergelassen; da kam ein alter Jäger des Weges daher. Er betrachtete einige Zeit das Schaf, verneigte sich dann vor dem Mädchen und bat, sie möge das Schaf auf einige Zeit von sich entfernen, denn er wolle mit ihr sprechen. Das Mädchen that es und der Jäger sagte: Mit diesem Schafe geht es nicht richtig zu; wollt Ihr aber wissen, was es sei, so lasst Euch Öhl bringen, womit man die Glocken bei der Weihe salbt, und macht mit dem Schlage zwölf Uhr Mitternachts damit dem Schafe ein Kreuz auf die Stirn. Das Mädchen dankte für diesen Rath [Rat] und that am nächsten Abend im Wohnhause, wie man ihr gesagt, aber siehe - als sie das Kreuz machte, warf das Schaf das Fell ab und im nämlichen Augenblicke stund ein Jüngling da. Dieser sagte: warum thatst du dieß zu meiner Qual? noch zwei Jahre hätte ich gehabt, dann wäre ich befreit worden; aber so muß ich wieder zur Hechse zurückkehren, welche mich verbannt hat. Dann that er einen Sprung durch das Fenster und war fort. Das Mädchen war wie vom Schlage gerührt, besann sich eine Weile und schrieb auf einen Zettel, daß sie genöthigt sei, das väterliche Haus zu verlassen. Diesen Zettel ließ sie auf dem Tische liegen und eilte fort, um den Jüngling wieder zu finden. Viel Mißgeschick hatte sie nun zu ertragen; sie muste durch Thäler und über Heiden ziehen, Felsen und Berge erklettern. So kam sie auch in einen Wald zu einem Ginsiedler, dem sie alles erzählte. Dieser gab ihr folgenden Rath: du must bis zum Meere gehn; am andern Ufer steht ein großer Berg, auf welchem die Zaubermutter wohnt; dort kannst du ihn finden. Froh eilte das Mädchen fort- Als sie an das Meer gekommen, war kein Schiffer da, der sie hinübergesetzt hätte. Und während sie weinte und jammerte, kam plötzlich eine Kuh. Das Mädchen klammerte sich an das Thier fest, und so erreichte sie glücklich das jenseitige Ufer. Hier sah sie nichts als Steine und einen Berg; von allen verlassen wuste sie nicht, was sie thun solle und sie fieng wieder an zu weinen und zu klagen. Da ließ sich von unten eine Stimme hören: wenn du mich retten willst, so gehe in das heilige Land, hole von dort geweihte Sachen herbei und mit diesen besteige den Berg. Böse Geister werden dir entgegen stehn, doch fürchte dich nicht. In dem Berge liegt ein Schwert, dieses suche und nimm es mit, dann warte die zwölfte Stunde ab, es wird aus der Geisterburg die Zaubermutter kommen, und dieser schlage mit dem Schwerte den Kopf ab, dann hast du mich und viele andere erlöset. Das Mädchen reiste fortan zu den heiligen Stätten, wie ihr geboten war, und als sie mit geweihten Dingen zurückkam, leistete sie den Geistern Widerstand. Sie fand auch das Schwert und es gelang ihr wirklich, die Zaubermutter zu enthaupten. Darauf verwandelten sich alle Steine in Häuser, die Pflanzen in Menschen und eine prächtige Gegend lag vor ihr. Der Jüngling kam in einem schönen Wagen, an den sechs Rosse gespannt waren, und holte das Mädchen ab.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 150ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.