8. [Entstehung der Gletscher]

Sagen über die Entstehung der Gletscher, wie sie in den "Alpensagen" mitgetheilt sind, habe ich auch im Pinzgau getroffen, wo man eine herrliche Ansicht der Gletscherwelt hat. Über das Wiesbachhorn hört man folgendes:

Vor uralten Zeiten waren zu Fischhorn bei Bruck und zu Kaprun im Schlosse zwei reiche Grafen, und diesen gehörten die Alpen auf dem Wiesbachhorne. Ein jeder von ihnen hatte gewis zweihundert Kühe, die sie alle Sommer auf das Hörn trieben und dort weideten („gras't hampt“). Weil das Gras so gut und üppig war, so trug es sich leicht aus, eine schöne Alphütte hinauf zu bauen. Diese war wie das gröste und schönste Bauernhaus zu Brück oder Kaprun, und so daß 6 oder 8 Hirten und ein Senn immer dort waren. Obwohl diese nicht sparsam lebten, machten sie doch so viel Schmalz und Käse, daß die Grafen nicht wüsten wohin damit; abkaufen wollte es ihnen niemand, und verschenken wollten sie es auch nicht. So ließen sie oft viel verfaulen und warfen es dann in das Wasser, und vieles gebrauchten sie zu Dingen, daß es schade um die Gottesgabe war. Noch ärger machten es die Sennen; die haben oft gar die Milch in eine große Badwanne gegossen und haben sich darin gebadet. So machten sie es lange Zeit, aber Gott gedachte sie zu strafen. Mit der Zeit kam der Kaprunergraf, der mit dem Brialauergrafen Fehde hatte, bei einem Gefechte um, und sein Sohn, ein stolzer, geiziger Mann erbte das Besitztum seines Vaters. Dieser junge Graf war schlechter als sein Vater, denn dieser hatte doch den Armen gegeben, jener aber trieb sie mit seinem Hofhunde aus dem Schlosse. Zur selben Zeit lebte zu Zell am See ein berüchtigter Zauberer, allgemein der Zauberer Jakob genannt. Diesem war des Grafen Hartherzigkeit und Schändlichkeit schon lange ein Dorn im Auge gewesen, und hatte immer nachgedacht, wie er am Grafen Rache nehmen könnte. Einst bot sich Gelegenheit. Indem der Zauberer auf das Hörn gieng um Kräuter zu suchen, kam er in die Nähe der Alphütte, und da er hungrig und durstig war, gieng er in die Hütte, und bat den Sennen um Milch. Der Senn, der den Zauberer nicht kannte, wollte sich mit dem altem Manne einen Spaß machen, brachte demselben eine große Schüssel voll Milch, und nachdem er genug hatte, sagte er zu ihm: Warum issest du nicht alles? „Weil ich nicht mehr kann“. Da nahm der Senn die Schüssel und goß ihren Inhalt dem Zauberer über den Kopf und das Kleid. Jetzt wurde aber der beleidigte zornig, fieng an zu schwören, daß er alles zu Grunde richten werde. Der Senn lachte ihm in's Gesicht, und warf endlich den drohenden zur Thür hinaus. Der Zauberer wollte anfangs alles, das ganze Thal zu Grunde richten, aber auf dem Wege besann er sich, und nahm sich vor, nur die Alpe, die Sennen und die Hütte zu vernichten, denn er wuste recht gut, welch großen Schaden er dadurch dem Grafen verursachte. Im Thale angekommen gieng er zum Grafen nach Kaprun und sagte ihm, daß er alle Thiere binnen drei Tagen vom Berge heim treiben solle, denn nach dieser Zeit werde das ganze Wiesbachhorn und alles was dort lebe vernichtet, und aus den blühenden Triften ein Ferner werden, damit die Welt sehe, wie Gott den Übermuth strafe. Der Graf lachte und sagte spottend: Machst du das Horn zum Gletscher, so mache es nur schön weiß, damit man es recht weit sehen kann.

Kaum waren drei Tage vergangen, als ein furchtbares Donnerwetter aufstieg, wie seit Menschen gedenken keines gewesen. Die schwarzen Wolken hüllten das Wiesbachhorn drei lange Tage ein, und dann verschwanden die Wolken, das Horn aber stund da, wie es jetzt steht, ganz weiß. Kein Sommer sah den Ferner schwinden, ja er wurde immer mächtiger.

Seit jener Zeit bestieg kein Christ den von Gott verfluchten Berg, bis einmal der Erzbischof von Salzburg, Fürst Schwarzenberg, mit einigen den Versuch machte. Sie erklommen mit vieler Mühe den Gipfel, pflanzten dort eine Stange auf, und gruben etliche Flaschen Wein in den Schnee, für den, der ihn holen wolle Der Wein war nicht lange dort, so stiegen muntere Burschen hinauf und holten ihn.

An einem heißen Sommertage hört man öfters aus einem Firnrisse ein schreckliches Geschrei, gewis vom Melcher und den Hirten, welche noch nicht erlöst sind. (Aus Alm im Pinzgau.)

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 359ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, Juli 2005.