l. Das Siveringer Brünnlein.

In Wiens Umgebung am Fuße des Kahlengebirges liegt das Dorf Sivering [Sivering = Sievering, Wien 19. Bezirk]; nicht weit davon die hohe mit Wald umgebene Jägerwiese, und hinter derselben am Abhange des Hermannskogels das weit bekannte Agnes- oder Jungfernbrünnlein.

Die Altertumsforscher haben dieser Stätte und ihrem Mythenkreise bisher gar keine Beachtung geschenkt, obgleich Namen wie Hermannskogel und Jägerwiese, das Glücksuchen beim "Brindl", der an eine griechische Orakelstätte erinnernde Aberglaube der tausende, die jährlich aus der ganzen Umgegend hinwandern, zum forschen auffordern. Das sinnen und glauben, das dichten und trachten der zahlreichsten Menschenklasse hat - selbst in seinen Auswüchsen- einen Anspruch auf wissenschaftliche Beobachtung. "Unser Zeitalter -sagt J. Grimm (Rechtsaltertümer XV) - lernt wohl Sitten und Werke fremder Völker erklären, kaum aber die seiner nahen Heimat." Wir finden bei Sivering ein Stück Kultur- und Sittengeschichte, und durch das nichtfremdländische habe ich mich nicht abschrecken lassen, diesen gewis uralten Überlieferungen des Volkes nachzugehen.

Allgemein bekannt ist fast nur das Nummernsuchen, allein dieses und die auf das Lotto bezüglichen Begegnisse haben sich wohl erst später den Mythen angelehnt und den eigentlich mythischen Hintergrund verdeckt.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 1*
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.