2. [Karl und Agnes]

1.

Da wo heute Sivering liegt, lebte einst eine Fee Namens Agnes. Im Winter hielt sie sich in einem Palaste auf, dessen Eingang bei der steinernen Wand (außerhalb Siverings, am Fuße des "Himmels") gewesen sein soll. Im Sommer schlief sie aber oft unter freiem Himmel oder hielt sich in holen Bäumen auf. Einst kam der König von Schweden in diese Gegend, um einer großen Jagd beizuwohnen. Indem er ein Reh verfolgte, verirrte er sich bis auf die hoch liegende Jägerwiese. Der Gang hatte ihn ermüdet, im Walde zog er seinen Harnisch aus und hängte ihn an einen Baum; dann legte er sich auf das Gras nieder, um die Nacht hier zuzubringen. Kaum war er eingeschlafen, so hörte er seinen Namen rufen: "Karl, schläfst du?" Erstaunt bemerkte er an seiner Seite eine wunderliebe Frau, und nicht weit davon hörte er eine Quelle hervorsprudeln, Agnes blieb bei dem Jäger und zeigte ihm dann bei Tagesanbruch den Weg zu seinen Gefährten. Seit der Zeit ist der König von Schweden nie mehr in jener Gegend gesehen worden; manchmal aber hört man einen Lärm in den Gebirgen, ein rollen und rasseln, und dann sagen die Leute, Karl fahre mit seinen geflügelten Rossen. Die Quelle aber, an der beide saßen, heißt seit jener Zeit das "Agnesbrindl."

2.

Einige Zeit nach dieser Begebenheit gebar die Fee ein Mädchen; sie wüste aber nicht, wo sie das Kind unterbringen sollte. Da fiel ihr ein, daß in der Nähe ein Köhler wohne, der täglich aus einem Brunnen im Walde das Wasser hole. Sie legte deshalb das Kind in einen Korb und wickelte in ein Papier 20 Goldstücke, Darauf schrieb sie: Das Kind heißt Agnes, nehmt es an und zieht es auf, und alle 14 Tage sollt ihr an dieser Stelle das nöthige Geld finden. Als der Köhler das Kind so allein da liegen sah, erbarmte er sich und trug das Kind nach Hause. Die Köhlerin wollte anfangs nicht einwilligen, als sie aber den Zettel las und das Gold darin fand, freute sie sich über das Begebnis. Die Köhlersleute hatten einen Knaben, der Karl hieß, und beide wuchsen nun nebeneinander auf, und mit den Jahren wuchs auch ihre Liebe zu einander.

3.

Die Fee sah dieses Verhältnis gern und wollte den künftigen Gemahl ihrer Tochter zu hohen Ehren bringen. Sie befahl ihm daher auf die Jägerwiese zu gehen; dort werde er einen Harnisch finden, den der Schwedenkönig an einen Baum gehängt habe. Den Harnisch solle er umlegen und so gerüstet in das Lager der Türken ziehen; er solle deren Vorposten niederhauen und ihren Obersten zum Zweikampfe auffordern, Er solle auch trachten den Helm des Türkenführers zu bekommen, da in demselben dessen schriftliche Befehle und Nachrichten aufbewart seien.

Karl nahm Abschied von Agnes, und begab sich in das Türkenlager 1). Alsdann eilte er mit guten Nachrichten nach Wien und der Kaiser verlieh ihm eine hohe Stelle im österreichischen Heere. Unterdessen hatte die Fee ihrer Tochter einen Palast bei Sivering eingeräumt. Karl hatte aber in Wien eine andere Bekanntschaft gemacht ("mit einer Hofdame"), und als er einst in den Wald kam um die seinigen zu besuchen, läugnete er es. Da öffnete sich die Erde und mit furchtbarem Getöse sank der Palast in den Abgrund. Agnes und Karl aber sind verwunschen herumzuwandeln bis zum jüngsten Tage, und zwar er in Schuld sie in Unschuld. Täglich erscheint auf der Jägerwiese ein geharnischter, schwarzer Mann, um 12 Uhr Mittags und 12 Uhr Nachts steigt er aus einem Baume heraus. Andere haben ihn in anderer Gestalt gesehen.

1) Zwischen Sivering und Wien ist die seit den Türkenkriegen so genannte Türkenschanze. So lehnt sich die Sage wie ein poetischer Duft an alle bedeutenden Ereignisse.


4.

Karl und Agnes sind denen die zum Brünnlein wandern, oft erschienen. Bevor wir aber die einzelnen Begebenheiten berichten, verzeichnen wir noch die Abweichungen von der Sage.

Wo jetzt das Brünnlein sich befindet, stund vor Zeiten eine mächtige Eiche, welche eines Tages ein Kohlenbrenner umhauen wollte. Da vernahm er hinter sich einen Ton wie von einem Kinde. Er sah sich um und erblickte ein kleines wunderschönes Mädchen. Das nahm er zum großen Ärger seines Weibes mit nach Hause und erzog es neben seinem Karl. Mit dem Findling war auch Glück in's Haus gekommen, denn alle Kohlen, welche das wunderbare Mädchen berührte, verwandelten sich in lauteres Gold. Der Köhler baute nun neben jener Eiche eine Kirche und ein prachtvolles Schloß.

Karl und Agnes wuchsen auf und liebten sich täglich mehr, als plötzlich ein Krieg ausbrach und Karl mitziehen muste. Nach Jahren kam er heim, reich an Ehren und Würden, und als er so vornehm gekleidet in das Zimmer trat, rief Agnes aus: Wenn das der Karl ist, so will ich verdammt sein. Kaum waren diese Worte ausgesprochen, als das Schloß mit allem was darin war, in die Tiefe sank. Nur das Brünnchen bezeichnet noch die verhängnisvolle Stätte. Karl und Agnes finden seitdem nimmer Rast und Ruhe. Zuweilen erscheinen sie im Walde und theilen Gaben an die Armen aus.

5.

Nach einer anderen Erzählung stund auf der Agneswiese (so heißt ein Theil der großen Jägerwiese) eine stattliche Ritterburg, welche von dem Burgfräulein Agnes und ihrer Muhme, einer Zauberin, bewohnt wurde. Diese sah das Verhältnis ihrer Nichte zu dem gemeinen Köhlersohne Karl nicht gern; darum verfluchte sie ihre Nichte und verzauberte die ganze Gegend. Die Ritterburg verschwand in das Innere der Erde. Karl und ihre Nichte müssen so lange auf der Oberwelt herumwandern, bis einer sie erlöset. Aber auch die alte Zauberin muß auf der Erde als Drache hausen, bis sie erlöset wird.

Auf einem Kreuzwege sieht man um Mitternacht die Ritterburg erleuchtet und Karl und Agnes sind sichtbar. Bis auf dem Platze, wo ehemals die Burg stand, zehnmal Wald und zehnmal Wiese gewesen ist, sind Karl und Agnes erlöst und die Burg kommt zum Vorschein.

In der folgenden Sage steht Karl zu der Zauberin in einem nähern Verhältnis. Nach einigen andern Mitteilungen war Karl vornehmer Herkunft, Agnes dagegen als Köhlerstochter arm. Eine andere Abweichung ist die, daß Agnes den Karl wegen seiner Untreue tödlich verwundet habe, und dafür müße sie nun büßen und den Menschen so lange gutes thun bis ihre Schuld getilgt sei. Auch Karl muß dafür büßen, weil er sich an der Agnes gerächt hat.

Der vorwaltende Zug in den Sagen ist aber der, daß der Köhlerssohn Karl im Kriege der Braut untreu geworden und daß dann beide von der Mutter samt dem Schlosse verwünscht seien. Agnes wandelt umher, allen wohlthuend, Karl als wilder Jäger, als Reiter.

6.

Nach einer anderen Sage fällte der alte Köhler jenen Baum darum nicht, weil er noch so schön war. Da trat eine weiß gekleidete Frau zu ihm und sagte: Weil du mich verschont hast, so werde ich dir dankbar sein; geh' jetzt nach Hause und was dir sonderbares auf dem Wege begegnet, das nimm mit. Darauf verschwand die weiße Frau, und kaum war er zehn Schritte gegangen, so vernahm er im Gebüsche das Schreien eines Kindes. Er nahm es und eilte nach Haus, In der Nacht erschien ihm im Traume die weiße Frau und beschied ihn zu jenem Baume im Walde. Da die Frau denselben Traum gehabt hatte, so machten sie sich beide des Morgens auf den Weg, und nahmen das Kind samt ihrem Karl mit. Dort erfuhren sie von der weißen Frau, daß das Kind Agnes heiße, und sie bat, man möge es sorgfältig erziehen, dann werde es ihr Glück sein.

Als Karl erwachsen war, erschien ihm die weiße Frau und sagte: Mein Karl, du must nach Wien und zwar morgen schon; die Stadt ist belagert und du sollst zu ihrer Rettung beitragen. Dann übergab ihm die weiße Frau ein Pferd, Schwert und Rüstung. Als er auf Wien zuritt, begegneten ihm 300 andere Reiter, die er mit nahm. Nach vielen ritterlichen Thaten kehrten sie nach Sivering zurück, aber vor dem Dorfe verschwanden plötzlich seine Gefährten. Karl aber ritt in den Wald, legte Schwert und Rüstung bei dem Baume nieder und sein Pferd verschwand.

Wenn man sich auf der Agneswiese auf das rechte Ohr legt, so hört man die 300 Ritter, von Karl befehligt, sich üben. Der Baum ist vom Blitze vernichtet; er stand in der kleinen Grube, die jetzt das Brünnlein bildet. Auf den Steinchen im Brünnlein oder auch im Schlamme sieht man Nummern; diese bringen Glück in der Lotterie. Hat man das Glück die Agnes zu sehen und zu sprechen, so kann man freilich die sichersten Treffnummern erfahren.

7.

Agnes, Karl und die übrigen Bewohner des unterirdischen Schlosses können erlöst werden, wenn sich jemand getrauet, den Teufel, der in Gestalt eines Adlers erscheint, zu beschwören und ihm den goldenen Schlüssel, den er im Munde tragt, abzukämpfen. Wirklich unternahmen es einige Weiber während der Weihnacht auf die Agneswiese zu steigen und Beschwörungsformeln herzusagen. Es dauerte nicht lange, als man furchtbare Flügelschläge in der Luft hörte und den feurigen Adler mit dem Schlüssel im Munde herabschweben sah. Die erschreckten Weiber flüchteten eiligst in den Wald. In der nächsten Weihnacht wagten es einige kühne Wäscherinnen. Dießmal fieng der Adler ein furchtbares Geschrei an und der goldene Schlüssel fiel ihm aus dem Schnabel. Eine wollte den Schlüssel ergreifen, allein der Adler entriß ihr denselben und flog empor.

Statt des Adlers setzt die Volkssage auch einen Drachen. Ein armer Mann hatte alle Eigenschaften, um Karln und Agnes zu erlösen. Am St. Johannestag gieng er zufällig über die Agneswiese. Als er gerade durch das Gebüsch schritt, welches die Agneswiese von der Karlswiese scheidet 1), kam ihm ein seltsamer Jägersmann entgegen, der sich als "Kohlenbrenner Karl" zu erkennen gab, und den Mann bat, er möge ihn doch erlösen, und bestellte ihn auf künftigen Freitag an jene Stelle; um 12 Uhr werde ihm ein feuerschnaubender Drache entgegen kommen, welcher einen Schlüsselbund im Rachen habe. Diesen Schlüsselbund solle er dem Drachen entreißen und die Erlösung sei vollbracht. Wirklich war der Mann am Charfreitage [Karfreitag] schon um 8 Uhr Abends an Ort und Stelle, um 12 Uhr erhellte ein ungeheuerer Lichtschein den Wald; zugleich sah er ein prächtiges Schloß festlich erleuchtet. Es fasste ihn ein gewaltiger Schrecken, als er den feuersprühenden Drachen mit dem Schlüsselbünde im Rachen erblickte, und als er näher kam, sank der Mann ohnmächtig zu Boden. So blieb er liegen bis zum Morgen, und als er zu sich kam, war alles verschwunden. In einigen Tagen starb er.

1) beide bilden die Jägerwiese

8.

Auf der Jägerwiese, behaupten die Leute, könne man die Geister durch Gebete und gewisse Sprüche bannen; namentlich sollen dieß die Jesuiten können, und sie sollen auch zweimal mit dem Kaiser Josef dort gewesen sein und ihre Kunst ausgeübt haben. Kaiser Josef hat sie auch ein drittesmal beschwören lassen, aber sie waren ihm schon das zweitemal feurig erschienen, und dießmal haben sie ihn gewarnt, er solle sie ja nicht mehr rufen lassen, sonst werde er noch seinen Tod da finden.

9.

Karl ist keine geschichtliche, sondern eine mythische Person, wie auch aus folgenden Zügen deutlich hervorgeht. Man sieht ihn mehr auf weißem als schwarzem "feuerathmenden" Rosse reiten. Nach ihm ist die Jägerwiese benannt, weil man ihn mit seinem Gefolge auf der Wiese oft jagen gesehen hat. Einst gieng eine Frau dorthin, und nahm eine Woche lang nichts als Wasser und Brot zu sich. Täglich kam eine Nachbarin und brachte ihr Brot. Am achten Tage bat sie diese da zu bleiben, sie werde Nachts 12 Uhr einen Mann kommen sehen mit einem breiten Hute auf dem Kopfe, mit kurzen Hosen, langen weißen Strümpfen, Schuhen mit silbernen Schnallen und den weiten Rock um die Achsel gehängt; der werde sie um Wasser bitten, sie solle es geben und ihn dann um eine Gabe ansprechen. Betend erwarteten beide die Stunde. Da vernahmen sie ein immer stärker werdendes Geräusch, der Himmel ward roth und der Mann stund in der beschriebenen Kleidung vor ihnen. Und als die Nachbarin für das Glas Wasser ihn um eine Gabe bat, hieß er sie mitgehen. Mit einer an einem Baum lehnenden Schaufel füllte er ihr drei Schaufeln voll Kohlen in die Schürze und verschwand. Zitternd lief sie zu ihrer Gefährtin, unterwegs aber fiengen die Kohlen Feuer und sie ließ alle hinausfallen. Als sie sich erholt hatte, suchte sie nach den Kohlen, und fand drei Goldstücke.

10.

Da wo jetzt Untersivering ist, befand sich vor Zeiten ein großer Urwald und in demselben eine Jägerhütte. Der Jäger schickte einst seinen Burschen auf den Anstand , er kam auf die Jägerwiese und stellte sich hinter einen Baum. Da sah er spät in der Nacht eine Prozession von lauter weißen Frauen, nur eine, die in der Mitte gieng, war schwarz gekleidet und trug in der linken Hand ein weißes Sacktuch. Alle hatten brennende Fackeln, nur die mittlere eine abgebrochene Kerze in der rechten Hand. Als der Zug an dem Baume vorüberkam, gieng die schwarze auf den Jägerburschen zu und winkte ihm zu folgen. Sie nahm ihn mit über Wiesen, Berge und Thäler, und sie kamen endlich vor ein schönes Kristall-Schloß, dessen goldene Thore verschlossen waren. Auf einiges murmeln der schwarzen, die jetzt aus der Reihe hervorgetreten war, gieng die Thür auf und beide giengen hinein. Der Bursche blieb vor Schrecken und staunen ganz sprachlos. Als sie eine gläserne Treppe hinaufgestiegen waren, zeigte ihm die Führerin eine Thür und verschwand. Der Bursche gieng hinein, trat in eine Küche und wärmte sich am Feuer. Da der ganze Palast schimmerte, so wüste er nicht ob es Tag oder Nacht war. Plötzlich öffnete sich die Thür und es trat ein schwarz gekleidetes Männlein herein, der trug einen Hut mit sehr breiten Krampen, rund herum mit silbernen Borten besetzt. Am Hute hieng eine silberne Quaste; die Hose reichte nur bis an die Kniee. Außerdem hatte er ein kurzes Wams an, rothe Strümpfe und Schuhe mit silbernen Schnallen. Der Mann sah dem Jägerburschen in's Gesicht und entfernte sich dann mit sonderbaren Mienen ohne ein Wort zu sprechen, Dem Burschen wurde immer unheimlicher zu Muthe; er wollte sich entfernen, fand aber keinen Ausweg. Plötzlich brach ein furchtbares Getöse aus, welches das Schloß in seinen Grundfesten erschütterte. Auf einmal stund seine Begleiterin vor ihm und begehrte seine Weidtasche, mit der sie sich entfernte. Nun suchte er in seiner Todesangst überall Ausgänge. Da verschwand plötzlich das Schloß und er befand sich ganz allein auf der Jägerwiese, wo die Weidtasche am Boden lag. Er hob sie rasch auf und eilte nach Hause. Dort wunderte man sich, daß er ein volles Jahr ausgeblieben sei. Der Herr hatte bereits einen andern Jägerburschen angenommen; dieser gab darum seine Weidtasche zurück und als der Herr sie öffnete, war sie mit Goldstücken ganz angefüllt. Der Bursche erzählte nun alles was ihm begegnet war. Als er aber den Herrn auf den Platz führte, wo er die schwarze Frau gesehen, wollte der Jäger auf den Burschen losdrücken, die Kugel kehrte sich aber um und traf den Jäger. An der Stelle soll damals ein Kreuz auf der Jägerwiese errichtet worden sein.

11.

Diese Sage wird von andern etwas abweichend erzählt. Als einst ein frommer Jägerbursche im Walde jagte, bemerkte er auf der Jägerwiese einen langen Zug Wallfahrter. Er schloß sich ihnen an und sie gelangten zu einer geheimen Thür, in welche alle eintraten. In der unterirdischen Gegend befand sich ein prächtiges Schloß; alle andächtigen zerstreuten sich in ihre Wohnungen neben demselben. Der Bursche aber folgte einer lieblichen Frau in das Schloß. Nach einigen Tagen sah er die stillen Bewohner sich wieder zu einer Wallfahrt sammeln. Um wieder auf die Oberwelt zu kommen, nahm er Abschied von seiner Beschützerin. Vorher aber füllte sie seine Weidtasche mit Kohlen. Oben verschwanden die Wallfahrter vor seinen Augen. Während er unter einem Baume ruhend seine schwere Tasche untersuchte, in der er Gold fand, weckte ihn der Förster mit einem derben Schlage aus seinen Betrachtungen. Warum hast du dich, fragte sein Herr, seit drei Jahren aus meinem Dienste begeben? Der Bursche, welcher höchstens eine Woche fort gewesen zu sein glaubte, erzählte das vorgefallene und bot dem Herrn die Hälfte der Goldstücke an. Damit nicht zufrieden erschoß er den armen Burschen. Als er aber zu Hause nichts als Kohlen fand, erschoß er sich selbst. Der Baum, unter welchem dieß geschah, starb ab, und die Leute sollen aus dem Holze dieselbe Jägersäule errichtet haben, welche noch auf der Jägerwiese steht.

12.

Dieser Jägersäule schließt sich noch eine dritte Überlieferung an.

Der Kohlenbrenner, "welcher durch die Agnes so reich geworden war", ließ nördlich von der Jägerwiese bei dem "Geisterbrindl" eine Kapelle - nach andern eine Kirche - bauen, die aber, als die Gegend verzaubert wurde, ebenfalls in die Erde sank. Viele Jahre nachher jagte dort Karls Jäger und schoß einen Hasen an. Als er den Hasen in die Weidtasche gesteckt hatte, stund auf einmal die verschwundene Kirche mit weit geöffneten Thoren vor ihm. Neugierig trat er hinein und die Thore schlossen sich wieder. Bald darauf sah er die schöne Agnes mit Karl und vielen reich gekleideten Dienern eintreten und dem Gottesdienste beiwohnen. Als derselbe beendet war, gieng der Jäger hinaus, und da er höchstens eine Stunde in der Kirche zugebracht zu haben glaubte, eilte er nach Haus. Hier wollte man nichts mehr von ihm wissen, weil er ein ganzes Jahr - nach andern 9 Jahre - abwesend gewesen sei. Er erzählte, daß er kaum eine Stunde lang in der Kirche zugebracht habe, und zog seinen Hasen hervor, der noch warm war. Der Jäger betrachtete denselben genauer und fand ihn schwer, mit Gold gefüllt. Er schenkte dem Burschen keinen Glauben; darum führte ihn dieser an jene Stelle, Der Jäger sah aber keine Kirche mehr und indem er eine Kugel auf den Burschen zielte, sank der Jäger tot zu Boden.

13.

Meine Großmutter - so erzählte mir dieselbe Frau weiter - gieng einst mit meiner Mutter auf die Jägerwiese, und sie legten sich, weil sie in großer Noth waren, unter diese Jägersäule. Im stillen hoffte die Großmutter, es werde ihnen die Agnes erscheinen und ihnen helfen. Die Mutter schlief bald ein, während die Großmutter weinend die zwölfte Stunde erwartete. Da sah sie plötzlich auf der Anhöhe der Jägerwiese aus dem dunkeln Walde einen ungeheuren Reiter herauskommen, dessen riesiges Pferd ein Schimmel war, welcher wie die Sonne leuchtete und den dunklen Wald ringsum mit mächtigem Lichte erfüllte.1) Lautlos sprengte er in drei Absätzen die Anhöhe der Jägerwiese herab. Als der riesige Reiter die Frau erblickte, fragte er, was sie hier zu suchen habe. Holz, antwortete erschrocken die Großmutter. So nehmet dieses da mit nach Hause, es ist viel besser als anderes. Die Großmutter folgte dem Befehle, nahm aber wenig davon, weil das Holz verfault schien und leuchtete. Während sie sich bückte, war der "riesige Schimmelreiter" verschwunden. Meine Großmutter nahm nun meine Mutter, die damals noch ein Kind war, schnell auf den Arm und kam schweißtriefend zu Hause an. Des andern Tages wollte sie das Stückchen Holz aus der Tasche nehmen, und siehe da, es war schweres Gold. Sie lief eiligst zurück, fand aber nichts mehr.

1) Wuotan als Lichtgott, Sonnengott

14.

Vor langen Jahren lebte ein Mann, der viel Nahrungssorgen hatte. Darum begab er sich Nachts häufig auf die Jagd in die Wälder bei Sivering.

Einst war ihm das Glück nicht günstig; als er deshalb den Heimweg antreten wollte, ward er auf der Jägerwiese plötzlich von einem großen Lichtschimmer geblendet, welcher mitten aus dem Walde, der die Jägerwiese umgibt, hervorleuchtete. Betroffen blieb er stehen und dachte über die Ursache des Lichtes nach, welches allmählich den ganzen Wald erhellte. Da sah er auf einmal ein Weißes glänzendes Pferd vor sich stehen, auf welchem ein Riese saß. Vor Schrecken konnte er sich nicht von der Stelle bewegen. Der Schimmelreiter fragte den Mann, was er hier suche, und der Wilddieb gestand ihm, daß der Hunger ihn zwinge Nachts hier zu jagen; dießmal habe er nichts geschossen. Kaum hatte er das gesprochen, als 12 herrliche Hasen über die Wiese liefen. Der Schimmelreiter befahl ihm auf die Hasen zu schießen. Der arme Mann weigerte sich, bis ihm der Reiter sein eigenes Gewehr überreichte, während die Hasen auf einer Stelle blieben, obgleich sie immer liefen. Das schwere Gewehr siel dem zitternden aus der Hand, um aber den Befehl des Schimmelreiters zu vollziehen, legte er sich auf dasselbe und drückte es mühsam los. Es entstand ein furchtbarer Knall und alle 12 Hasen lagen tot am Boden. Und als sich der Mann von seiner Betäubung erholt hatte, war der Reiter samt seinem Pferde verschwunden; nur die 12 Hasen lagen noch da. Mit dieser Beute beladen gieng er nach Hause. Als er am andern Morgen die Hasen untersuchte, fand er sie alle mit Gold angefüllt. Dieß machte ihm zum reichsten Manne weit und breit.

15.

Einst wandelten zwei lebensfrohe Studenten zum Brünnlein hinauf und ein dritter schritt nachdenkend hinter ihnen her. Da begegnete ihnen ein Bursche der einen Krug mit Wasser auf den Schultern hatte und sagte zu den beiden ersten : Ihr geht gewis zum Brünnlein um Nummern zu sehen? Was geht's dich an, polterten die Studenten und zogen weiter. Dasselbe fragte der Bursche den dritten, der in einiger Entfernung traurig folgte. Ich möchte wohl, sagte er, wenn das Glück mir günstig wäre. Darauf setzte der Bursche seinen Krug ab, ließ den Studenten hineinsehen, und sagte: Setze die Nummern, die du hier siehst. Der Student that es und gewann eine große Summe, Jener Bursche war niemand anders als Karl, der das Glück derer gründet, denen er gewogen ist.

16.

Nachdem das Schloß des "Burgherrn" Karl und seiner "Gemahlin" Agnes versunken war, schickten Holzhauer um die Mittagszeit einen Buben mit einem Kruge zu dem Brünnlein, Da sah er einst eine Frau in weißem Gewande, die wusch ihr langes schwarzes Haar im Brünnlein.1) Der Bube füllte dennoch seinen Krug und trank. Da fragte die Agnes, ob es ihn nicht ekle. O nein, sagte er, und gieng seines Weges. Als die Holzhauer tranken, war es guter Wein. Verwundert fragten sie, wo er den Wein her habe. Der Bub betheuerte, er habe Wasser geholt, und erzählte seine Begegnung mit der weißen Frau. Sie schickten nun den Buben abermals und er brachte wieder Wein, das drittemal aber Wasser. Nach dieser Begebenheit trug das Volk Wasser als Heilmittel für Augenkranke nach Hause.

1) Vgl, Grimm Myth, 918

17.

Es giengen einmal mehrere Personen miteinander hinaus zum "Brindl", um Nummern zu sehen. Bei dieser Gesellschaft waren zwei junge Eheleute, welche ihr Kind, ein Mädchen von drei Jahren, bei sich hatten. Sie waren alle auf der Jägerwiese gelagert und fröhlich und guter Dinge. Auf einmal vermisste man das Kind. Man rief und suchte, aber alles war vergebens. Untröstlich über den Verlust des Kindes durchsuchten die Altern drei Tage hindurch die ganze Waldung, und als sie am dritten Tage wieder auf die Jägerwiese kamen, lag das Kind ruhig im Grase und spielte. Auf Befragen der Ältern berichtete das Kind, es sei in einem wunderbar schönen Schlosse gewesen, wo es viele Reiter und Pferde und eine sehr schöne Frau gesehen. Die Frau sei sehr freundlich gewesen, habe es mit lauter Backwerk gespeist und mit Meth getränkt, und habe überdieß die Säckchen des Kleidchens mit Zuckerwerk angefüllt. Man durchsuchte die Säckchen, und siehe - statt des Backwerks fand sich eine große Menge Goldes.

Die schöne Frau, sagen die Leute, sei Agnes, die Geliebte gewesen, und die vielen Reiter die Bewohner des versunkenen Schlosses.

18.

Die wohlthätige Fee bezieht Nachts ihr Kristallschloß unter der Erde; bei dem Brünnlein ist der Eingang zu demselben. Bei Tage unternimmt sie ihre Ausflüge und thut allerlei gutes. Ein Trottel von Sivering, der zu den schwersten Arbeiten angehalten war, wurde von ihr gelabt und unterstützt. Milchmädchen ist sie oft begegnet und hat sie beschenkt. Besonders häufig sind die Erzählungen, daß Agnes verarmten Leuten Kräuter oder eine Schürze voll Kohlen, die dann Goldstücke wurden, gegeben, oder dass sie ihnen Nummern im Brünnlein gezeigt hat, mit denen dann die Leute "einen Terno" gemacht haben. Darum ziehen jetzt in der Agnesnacht ganze Scharen zum Jungfernbrünnlein, wo auch Agnesbilder ausgetheilt werden, die nach Aussage der alten Lotterieweiber "von den glücklichen geopfert worden sind."

19.

Die herumwandelnde Agnes ist in verschiedenen farbigen Kleidern gesehen worden, meist aber in weißer Kleidung. Oft wird sie auf einem Blätterwagen von Tauben gezogen, fährt bei Hellem Sonnenschein durch die Lüfte und grüßt die wandernden.

Am häufigsten erscheint Agnes den bittenden, indem sie ihnen auf die Schulter klopft und Kohlen austheilt. Sie sagt immer ihren Namen und fügt hinzu, man möge ihrer gedenken.

Einer Frau, die mit ihrer Tochter Waldmeister suchte, begegnete sie in schwarzem Gewande, sie hatte schwarze herabhängende Haare und einen schwarzen Schleier. Sie winkte der Tochter, führte sie in eine mit blauen und weißen Sternen ausgemalte Hütte und hieß sie in die dort stehenden Fässer langen. Das Mädchen brachte aber nichts heraus, darum sagte die Agnes: Meine Tochter, du bist noch nicht ganz rein von Sünden. Das Mädchen gieng nach Hause, beichtete und erschien am folgenden Sonntage am bezeichneten Platze, aber die Agnes war nicht zu sehen.

20.

Ein Bauer wollte sich aus Lebensüberdruß auf der Jägerwiese erhängen. Da erschien ihm Agnes und fragte, was er vorhabe. Und als er ihr seine Armut klagte, nahm sie ihn mit sich zu einer Fallthür. Durch diese kamen sie zu einem unterirdischen Schlosse, wo ihm die Agnes einen Sack voll Kohlen gab. Er blieb einige Zeit bei ihr und als er Abschied nahm, gab sie ihm ihr Bild mit den Worten: Beware dieß auf, und wenn du je wieder auf solche Gedanken kommen solltest, so betrachte es und erinnere dich meiner. Am andern Morgen wollte er zu Hause die Kohlen verkaufen, fand aber blankes Gold. Damit baute er sich in Sivering ein stattliches Haus, und das Bild der Agnes ließ er im Hofraume über den Eingang hängen. Spätere Besitzer, denen das Geläuf der neugierigen unangenehm war, brachten das Bild auf den Dachboden .In der Nacht kehrte es aber immer wieder auf den alten Platz zurück.

21.

Nach anderen Berichten hat ein Bauer aus Dankbarkeit gegen die Agnes in Sivering ein Bild derselben anfertigen lassen und es in seinem Hause aufgestellt.1)

An diesem Bilde wollen die Leute auch Glücksnummern sehen. Einmal fragte ich eine Frau, die das Bild lange betrachtete und von Zeit zu Zeit Ziffern in ein Büchlein schrieb: Sehen Sie denn etwas? Darauf antwortete sie: Na, i sich grad nix, oba i moan halt i sichs.

Einst hat die Agnes, als junges Mädchen, einem Bauern gesagt, er solle das erste aufnehmen, was ihm auf dem Wege vorkomme. Er fand ein "Bein" (einen Knochen) und steckte es zu sich. Zu Hause fielen Dukaten heraus. Das ist die Veranlassung, warum an jenem Bilde die Agnes ein Bein in der Hand hat.

Als die Dukatn bald zu Ende giengen, setzte sich jener Bauer auf einen Baumstumpf im Walde, da erschienen ihm drei schwarze Mädchen, von denen das mittlere am kleinsten und etwa 15 Jahre alt schien. Diese jüngere bat ihn um einen Kreuzer, allein er wies sie ab, und brach eine Ruthe. Auch um diese bat das Mädchen dreimal vergebens. Als das Mädchen verschwand, sah er sein Unrecht ein.

1) Was diesesBild betrifft, so ist im Voltsglauben die heilige Agnes mit der mythischen Agnes offenbar verwechselt.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 6ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.