8. [Der Hahnritt]

In Schlesien lebte vor vielen hundert Jahren ein Ritter, der hatte eine schöne und tugendhafte Gemahlin. Eines Tages erhielt er vom Herzoge den Befehl, daß er sich sogleich mit einer wichtigen Botschaft nach dem Morgenlande aufmachen müsse. Darüber wurde der Ritter sehr betrübt, weil er wuste, warum man gerade ihn mit einer solchen Sendung beauftrage. Der Herzog hatte nämlich einen mächtigen Günstling mit Namen Leutko, der schon seit langer Zeit die Gemahlin des Ritters gern gesehen hatte. Ungern nahm er Abschied von seiner Gemahlin, die ihm unter vielen Tränen schwur, ihm ewig treu zu bleiben. Der Ritter nahm ein silbernes Kreuzlein, und sagte zu seiner Gemahlin, sie möge sich nie bewegen lassen, weder durch List noch Gewalt, einem andern die Hand zu reichen, bis ihr nicht dieses Kruzifix in die Hände komme, was ein sicheres Zeichen seines Todes sei. Er reisete nun von Land zu Land, und er war kaum auf halbem Wege, so befiel ihn eine Krankheit, und er gab seiner Gemahlin davon Nachricht. Leutko spiegelte ihr nun den gewissen Tod ihres Gemahls vor, und äußerte den Wunsch sie zu besitzen; allein sie ließ von ihrem Versprechen nicht ab, und wies die Anträge Leutkos zurück. Unterdessen hatte der Ritter seine Krankheit überstanden, seinen Auftrag getreulich ausgerichtet, und befand sich, von Sehnsucht getrieben, auf der Heimreise. Als er gerade durch einen dichten Wald ritt, über siel ihn bei einbrechender Nacht ein starker Räuberhaufe, der überwältigte ihn, und brachte ihn nach einer benachbarten Seestadt, wo er als Sklave verkauft wurde. Sein Diener war entkommen, und reisete gerades Weges nach Hause. Damit man ihn nicht zur Verantwortung ziehe, gab er vor, der Ritter sei im Walde erschlagen worden. Diese Nachricht benutzte Leutko sogleich wieder, um neue Anträge zu machen. Der Ritter schmachtete nun drei Jahre in der Gefangenschaft. Da erschien ihm einst im Traume seine schöne Gemahlin im festlichen Hochzeitsschmucke, an der Hand Leutkos. Sie schritten dem Altare zu, auf dessen Stufen der Priester zur Trauung bereit stund. Als der Ritter in großer Angst erwachte, rief er: „O könnte ich nur bei Tagesanbruch in meinem Schlosse sein, ich wollte gern das Heil meiner Seele darum geben.“ Kaum waren die Worte gesprochen, als der Böse leibhaftig vor seinem Lager stund. Hinter dem Bösen war ein schwarzer Hahn von ungeheuerer Größe, der hatte einen blutrothen Kamm und schlug ungeduldig mit seinen Flügeln umher, während der Teufel sprach: „Ich bringe dich, noch ehe die Sonne aufgeht, auf diesem Hahn in deine Burg, wenn du mir deine Seele verschreibst.“ „Wohlan! sagte der Ritter nach langem Bedenken, ich gehöre dir, wenn du mich schlafend bis zum Tagesanbruch nach Hause bringst.“ Unter dieser Bedingung schloß der Böse mit dem Ritter den Vertrag ab, und dieser schwang sich auf den Rücken des höllischen Thieres, und schlummerte bald ein. Bei Anbruch des Morgens fieng der Hahn zu krähen an, worauf der Ritter erwachte, und zu seinen Füßen seine Burg in der Morgensonne glänzen sah. — Der Hahn, sagt man, war eine arme Seele, die wegen begangener Sünden dem Teufel dienen muste. Da der Teufel den Vertrag, den Ritter schlafend in seine Burg zu bringen, nicht eingehalten, so hatte er von nun an auch keine Gewalt mehr über seinen Hahn, der sich nun langsam zur Erde senkte. Kaum war der Ritter abgestiegen, so verschwand der Hahn plötzlich, und aus einem kleinen Nebelstreife ließ sich eine Stimme hören: Das hat dir Gott gerathen, daß du das Kreuzchen bei dir trügest; du hast eine arme Seele erlöset. Hiermit war auch diese Erscheinung verschwunden, und als sich der Ritter ein wenig erholt hatte, gieng er in seine Burg, Er fand seine Gemahlin, die ihm treu geblieben war, und zum Danke für seine wunderbare Rettung ließ er eine steinerne Säule errichten, die noch heutiges Tages steht, und die „Hahnenkrähe“ genannt wird.1) (Aus Spachendorf in Schlesien)

1) Vergl. Gr. Myth. 980. Den Zusammenhang und myth. Kein dieser Sagen s. in Schambach-Müllers Niedersächs. Sagen S. 389 ff.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 371ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, Juli 2005.