53. [Eine Salige heiratet]

Am linken Ufer der Isel etwa 4 Stunden von Lienz aufwärts gegen Windischmatrey [Matrei in Osttirol] öffnet sich das Kalserthal, in dessen Hintergrunde der Großglockner steht, als riesiger Grenzstein Tirol von Kärnten und Salzburg scheidend. Das Thal bildet einen rundlichen ziemlich weiten Kessel, auf dessem Grunde ein großes Dorf steht mit hölzernen rabenschwarzen Häusern, eng aneinander gebaut. Es ist Kals, auch Großdorf genannt, und gehört in den Bezirk Windischmatrey. Die Einwohner sollen, nach der Sage, als riesig starke Räuber weit von Osten kommend über die Tauern gestiegen sein, hier sich niedergelassen, und von diesem abgeschlossenen sicheren Verstecke aus ihre Raubzüge nach Süden unternommen haben.

Ganz zu hinterst im Thale an einem steilen Abhange des Großglockners findet man ein Bauernhaus, zum Spöttling genannt. Vor nicht gar langer Zeit war ein junger, schöner Mann Besitzer dieses Hauses. Weil er sehr jähzornig war, und den Brantwein liebte, so hielt es ihm schwer eine ordentliche Braut zu bekommen. Er hatte sich endlich vorgenommen gar nicht zu heiraten. Da kam einmal ein Mädchen zu ihm, und fragte, ob sie nicht als „Dirn“ (Dienstmagd) da bleiben dürfe. Sie war schön, groß und stark, und niemand wuste wer sie sei, und woher sie komme. Sie gefiel dem Bauern und er behielt sie. Es zeigte sich bald, daß sie sehr fleißig und geschickt war zu allen Arbeiten; dabei war sie immer lustig und guter Dinge. Der Bauer übertrug ihr endlich die ganze Hauswirtschaft und trug ihr auch seine Liebe an. Sie schien darüber erfreut zu sein, und erwiederte sehr ernst, daß sie ihm eine Bedingung machen müsse, nämlich: er solle sie nie schlagen. Wenn es aber einmal dazu käme, so solle er es nie mit geballter Faust, sondern mit der flachen Hand thun. Der Bauer dachte nicht entfernt an die Möglichkeit, daß solches je einmal geschehen könne, und meinte daher, diese Bedingung sei durchaus kein Hindernis.

Mehrere Jahre verstrichen in friedlicher Ehe und schon war die Unbekannte Mutter von zwei Töchterlein geworden. Aber nach und nach verlor sich bei dem Bauern das Andenken an die geheimnisvolle Herkunft seines Weibes, und an die räthselhafte Bedingung.

Als er einmal etwas benebelt vom Wirtshaus heim gieng, dachte er darüber nach, was denn wohl geschehen möge, wenn er sein Weib schlüge. Als er nach Hause kam, wollte er Streit mit ihr anfangen, und da sie ihm auszuweichen suchte, ward er zornig, und versetzte ihr einen derben Schlag mit der Faust auf den Rücken. Da hüllte das Weib ihr Gesicht in die Schürze und gieng fort. Als der Bauer des andern Tages seinen Rausch ausgeschlafen hatte, suchte er überall sein Weib, fand es aber nirgends. Als der nächste Samstag kam, und man schon Feierabend machte, da giengen die beiden Töchterlein, die erst 4 - 5 Jahre alt waren, in den nahen Wald hinaus. Am Abend kamen sie wieder zurück, und waren sauber gewaschen, gekämmt und ihre Haare in Zöpfe geflochten. Als man sie fragte, wer sie gewaschen und gezopft habe, da anworteten sie: die liebe Mutter habe es ihnen gethan, die im Walde draußen sei. So geschah es alle Samstage, bis die Kinder erwachsen waren und sich selber waschen und zopfen konnten. Der Bauer aber bekam seitdem das stottern und das gieng auf alle spätern Besitzer des Hauses über. Allgemein meint man, jene Frau sei eine „Salige“ gewesen.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 245ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, April 2005.