10. [Der Hastrmann in Moldautein]
Vor einigen Jahren hat sich in Moldautein folgendes ereignet.1)
Dem Wassermanne war die Nahrung ausgegangen. Er begab sich deshalb in
die Stadt, um Einkäufe zu machen. Seine Schritte richtete er zuerst
nach den Fleischbänken. Hier blieb er vor einer der ersten Bänke
stehn und begehrte Fleisch. Inzwischen hatten sich andere Käufer
und Zuschauer, welche den Wassermann an seiner Kleidung, den Haaren und
an der tropfenden Rocktasche erkannt hatten, um ihn versammelt und waren
in gespannter Erwartung, was weiter geschehen werde. Der Fleischer, welcher
ein lustiger Mann war, beschloß bei sich, den umstehenden einen
Spaß zu machen. Mit spöttischem lächeln betrachtete er
seinen Käufer und sagte, er solle ihm das Stück Fleisch zeigen,
welches er wünsche. Das Grünmännchen, welches nichts arges
ahnte, wies mit der Hand auf den schönsten Kalbschlägel; aber
in demselben Augenblicke schwang der Fleischhacker das Breitbeil, und
das scharfe Eisen trennte zwei Finger von der rechten des Wassermannes.
Ein durchdringendes Geschrei ausstoßend, verließ er die Fleischbänke
und eilte in schnellem Laufe durch die Gasse der Moldaubrücke zu.
Die Leute rannten ihm nach. Schon glaubte man ihn erreicht zu haben, als
man auf der Brücke ankam. Mit großer Schnelligkeit schwang
er sich auf das Geländer und sprang herab in die Tiefe. Mit vielem
Geräusche schlossen sich die Wellen über ihm und er war spurlos
verschwunden.
Lange Zeit nachher - es war gerade Jahrmarkt - kam er wieder und zwar
auf den Standplatz der Hafner, und kaufte hier eine Menge kleiner Töpfe.
Jedoch das Glück war ihm auch dießmal nicht günstig; er
wurde wiederum erkannt und verfolgt. Nur eilige Flucht rettete ihn vor
der Gefangenschaft. Als ihm nämlich die umstehenden näher kamen,
lief er, so schnell als er nur konnte, der kaum 100 Schritt entfernten
Mühle zu, wo er in's Wasser sprang und verschwand. Seit jener Zeit
ist er nie wieder gekommen.
1) Ein ähnlicher Zug in Grimm's Sagen 1
Nr. 53 ("aus Deutschböhmen"). Dort hat er mit durchlöcherten
Groschen gezahlt.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 175ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.