15. [Des Wassermanns Töchter]

Durch Jägerndorf in Schlesien fließt die Oppa, welche zum Betriebe vieler Mühlen benützt wird. Bei einer Wehre hatte ein Wassermann seine Wohnung aufgeschlagen; er hatte zwei Töchter, die oft in die Stadt giengen, um dort mit den jungen Burschen zu tanzen, und die Musik anhören.1) Man erkannte sie daran, daß der Saum ihrer Kleider beständig von Wasser troff.

Am Abend giengen sie immer ganz allein fort, und wiesen jede Begleitung zurück. Doch einmal ließ sich ein junger Bursche nicht abhalten und wollte sie durchaus bis vor ihre Wohnung begleiten. Als sie nun an den von Weiden umgebenen Bach kamen, zog das eine Mädchen eine Ruthe hervor, mit der sie auf das Wasser schlug; sogleich zeigte sich eine Treppe. Die drei stiegen nun hinunter und kamen in die Wohnung des Wassermannes, worauf sich über ihnen das Wasser wieder schloß.

Der Wassermann war anfangs sehr erzürnt, doch ließ er sich besänftigen, und fand zuletzt Wohlgefallen an dem schmucken Burschen. Er bewirtete ihn freundlich und gab ihm beim Abschiede ein Häuflein Kehricht, der in der Ecke lag.

Der Bursch wunderte sich über die sonderbare Gabe, indes nahm er sie in sein Sacktuch, und entfernte sich dankend. Draußen angekommen schüttete er das Kehricht weg; doch blieb ein wenig an dem Tuche hängen. Als er zu Hause das Tuch hervorzog, fiel eine Silbermünze heraus, und er sah nun wohl, wie unklug er gehandelt, da er den Schatz wegschüttete.

Ein andermal gieng eine Frau über den Steg, der über das Flüßchen führt, und sah auf der Wehre ein Kind sitzen. Wie sie nun voll Schrecken hinsah, fürchtend das Kind würde in's Wasser fallen, gewarte sie einen Mann aus dem Wasser auftauchen, der eine rothe [rote] Mütze auf hatte, und das Kind zu sich hinab in die Fluten riß. Die Frau versicherte, das habe der Wassermann gethan.

1) Vergl. Grimm Myth. 460.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 183f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.