27. [Das Waschweibchen]

In der Zeit der Heuärnte [Heuernte] sah man im Böhmerwalde neben einem Teiche unter Gesträuch und Laub versteckt eine Schar tanzender und arbeitender Weiber. Sie wuschen dort leinene Kleidungsstücke. Obwohl dieser Anzug sehr schadhaft war, so verwandten sie doch alle Sorgfalt darauf.

Während so einige beschäftigt waren ihre Kleidung zu reinigen, spielten die andern, trieben sich im Kreise herum, plätscherten im Wasser und pflogen allerlei Kurzweil.

Von einiger Entfernung durfte man ihrem Treiben zusehen; wenn man ihnen aber zu nahe kam, so erhoben sie ein großes Geschrei, rafften ihre Fetzen zusammen, stürzten sich in's Wasser, und kamen erst nach langer Zeit, gewöhnlich erst im folgenden Jahre, wieder zum Vorschein.

Ein Bauer, welchem es noch nie gelungen war, die Waschweibchen in der Nähe zu sehen, weil er durch nahekommen sie immer vertrieben hatte, dachte auf ein Mittel, sich ein Wasserweibchen so recht nahe zu betrachten. Er legte eine Schlinge und nach einigem warten fieng er wirklich eines, welches zu seiner grösten Freude sich ganz geduldig in ihr Schicksal fügte. Diese Wasserfrau war ungefähr zwei Fuß hoch, mit Linnen bedeckt; ihre blonden langen Haare wallten über ihren Nacken herab. Besondere Freude gewährte es den Bauersleuten, daß sie sich sogleich anschickte, die Stühle zurecht zu stellen, die Fenster und das Geschirr zu putzen, daß sie auskehrte und alle Geschäfte der Hauswirtschaft verrichtete. Sie behandelte alles, als wäre sie schon lange da gewesen. Sie munterte durch ihre Thätigkeit [Tätigkeit] auch die Landleute auf, sich ihr Brot zu verdienen und nicht mürrisch bei der Arbeit zu sein. Sie selbst arbeitete vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, ohne erst irgend einen Befehl abzuwarten.

So gieng [ging] es gut, den ganzen Sommer und Herbst hindurch. Der Winter nahete mit all seinen Schrecken. Die Leute, welche sich des kleinen Wesens erbarmten, wollten ihm Kleider und Schuhe machen, jedoch es weigerte sich und wollte sich nicht das Maß nehmen lassen. Die Leute dachten, wenn es leine Kleider wolle, so müsse man ihm doch wenigstens Schuhe geben. Sie bestrichen deshalb den Boden mit weichem Lehm, damit es so eine Spur von seinen Füßen zurücklasse, um darnach das Maß nehmen zu können. Wirklich gelang ihnen diese List, und dem Waschweibchen wurden die Schuhe eines Morgens vorgestellt. Als sie dieselben sah, fieng sie an zu jammern und zu weinen, und sagte, daß sie nicht belohnt sein wolle für das was sie thue. Schnell packte sie ihre Sachen zusammen, und lief zur Thüre hinaus. Und niemand hat sie je wieder gesehen.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 198f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.