7. [Der Wassermann in der Mühle]

Hans, der Sohn einer Bauernfamilie in Böhmen, hatte ein großes Verlangen die Welt zu sehen. Der Vater erlaubte ihm deshalb ein Jahr lang zu reisen. Man packte ein Felleisen mit Kleidern und gab ihm zwei Käslaibe mit auf die Reise. Nach einiger Zeit kam er zu einer Mühle. Das Geklapper derselben freute ihn, und er beschloß hier in Arbeit zu treten. Er gieng in die Mühle, ließ sich dem Müller vorstellen, und trug ihm seine Dienste an. Der Müller musterte den Burschen vom Kopfe bis zu den Füßen, und sprach dann zu ihm: du kannst bei mir bleiben; da ich aber jetzt keinen anderen Platz habe, wo du schlafen könntest, so must du dich bequemen in der Radstube zu übernachten. Der Müller war aber ein schlechter Mann, den die Käslaibe und das wenige Geld sehr anzogen. In der Radstube war es nicht recht geheuer; denn um die zwölfte Stunde stieg immer der Wassergeist aus dem Wasser herauf, und zog alles, was er dort fand, mit sich in die Tiefe hinab. Der Müller glaubte, daß dem Hans dasselbe Schicksal wiederfahren würde, wenn er ihn in die Radstube schicke. Hans, welcher nichts böses ahnte, schnitt sich ein Stück Käse und Brot ab, gab das andere dem Müller in Verwarung, und begab sich nach der ihm angewiesenen Stube. Dort verzehrte er sein Abendmahl, legte sich dann auf das Stroh, und schlief ruhig ein. Um Mitternacht erwachte er. und verspürte zu seinen Füßen ein leises Geräusch. Er dachte das seien Ratten, machte eine Bewegung mit dem Fuße, um sie zu verscheuchen, und blieb dann ruhig liegen. Da sich aber dasselbe immer wiederholte, rief er zornig aus: In's Teufelsnamen, wollt ihr mich nicht in Ruhe lassen! Und dabei stieß er so gewaltig mit den Füßen um sich, daß die Stube drönte. Als wieder alles ruhig war, hörte er ein leises Gewimmer nahe an der Wand der Stube. Er stund auf um nachzusehen was dieß wäre, und fand ein kleines Männchen dort liegen. Er fragte dasselbe was es suche. Das Männchen zeigte auf seine Brust mit kläglichem Geschrei. Hans wollte sehen, was das Männlein auf der Brust habe; allein es ließ dieß nicht zu. Da ward er zornig, packte das Männchen mit seinen kräftigen Händen, riß ihm die Kleider vom Leibe, und sah, daß die Brust desselben gequetscht war, und eine kleine goldene Tafel mit den Worten: König der Gewässe. Jetzt wuste der Bursche, woran er war.

Das Geräusch hatte also der Wassermann verursacht, welcher gekommen war. um Hansen in die Tiefe zu ziehen. Dieser versetzte ihm aber einen so kräftigen Stoß, daß der Wasserkönig sich gezwungen sah, sein Vorhaben aufzugeben. Dann sprach er zum Wassermann: Du bist gekommen mich zu morden, aber es ist dir nicht gelungen; du bist jetzt in meiner Gewalt, und die Reihe ist nun an dir. Da fieng das Männlein an zu bitten und zu weinen, und sagte: Schenke mir das Leben, und ich will dir dafür geben was du begehrst.
Gut, sagte er zum Männchen, wenn du mich in deinen Palast führen willst, und mich dann dort von deinen Schätzen nehmen lassest, so viel ich will, so soll dir dein Leben geschenkt sein. Der Wassermann gieng mit Freuden diesen Vorschlag ein, bestrich nun Hansen mit einer fetten Salbe, fasste ihn um den Leib, und stürzte sich mit demselben in das Wasser. Schnell vergiengen dem Hans die Sinne. Als er wieder erwachte, befand er sich in dem Palaste des Königs, auf einem sehr weichen Bette, Haus wollte aufstehen und sich ankleiden; aber vergebens suchte er seine Kleider. Da traten auf einmal eine Masse von Zwergen in das Gemach, begrüßten ihn freundlich und legten ihm prächtige Kleider an.

Der erstaunte Hans ließ sich das alles gefallen. Als er völlig angekleidet war, führten ihn die Zwerge zum Könige, welcher auf einem kristallenen Trone saß, ihm huldreich zuwinkte, und ihn nöthigte, mit ihm das eben aufgetragene Frühstück einzunehmen. Hans ließ sich dieß nicht zweimal sagen, und griff wacker zu. Nach dem Frühstücke führte ihn der König in seinem Schlosse herum, zeigte ihm seine Reichtümer, und sprach:

Nimm so viel du willst. Als der Bursche sich die Taschen mit Diamanten und Perlen gefüllt hatte, wäre es ihm lieber gewesen, wieder auf der Erde zu sein. Er sagte deshalb zum Könige, es sei ihm nicht wohl, legte sich zu Bette und schlief ein. Beim erwachen befand er sich wieder in der Radstube, angethan mit seinen schlechten Kleidern, deren Taschen ganz mit Diamanten und Perlen angefüllt waren. Er gieng nun zum Müller und erklärte, daß er nicht mehr bleiben wolle. Der Müller erschrack und fürchtete, Hans möge seinen Käs zurückbegehren. Aber Hans dachte nicht daran, sondern griff nach Hut und Stock, und wanderte gerades Weges seiner Heimat zu. Seine Eltern erstaunten über die baldige Zurückkunft und freuten sich sehr ihren Sohn wieder zu sehen. Aber ihre Freude ward noch größer, als er die Diamanten und Perlen hervorzog. Kurze Zeit darnach verließen sie ihre Hütte, zogen in eine Stadt, und lebten da als angesehene Leute glücklich und zufrieden.


Dieses Sagenmärchen hat mit der vorigen Sage nicht bloß ähnlichen Inhalt, sondern es zeigt sich darin auch eine Verwechselung des Wassergeistes mit einem Zwerge, dessen wohlwollender Charakter beibehalten ist. Bei den eigentlichen Wassergeistern ist dieß wenig der Fall, weil ein Zug von Grausamkeit ihnen innewohnt (s. Gr. M. 462).

In Neumark (Deutsch Böhmen) erzählt man von einem Männchen mit grauem Bart, der einem Knechte, als er gerade die Pferde schwemmte, diese abkaufen wollte. Der Knecht weigerte sich, der Wassermann schwang sich auf eines der Pferde und ritt in die Tiefe des Teiches. Hier verschwand er und zog auch den Knecht nach sich.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 172ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.