11. [Der Goldhüter]
In Straßnitz in Mähren lebte vor Zeiten ein Wirt, der folgendes
gesehen hat.
Eines Abends kamen mehrere Diener des Grafen von Straßnitz in das
Wirtshaus zum Nachtmahl. Sie blieben sehr lange dort, und da dem Wirte
der Wein ausgegangen war, verlangten sie von ihm, er solle einen andern
holen. Der Wirt ließ sich's nicht zweimal sagen, obwohl es schon
spät in der Nacht war; er nahm den Krug und die Schlüssel, und
gieng in den Keller, der im Hintergrunde des Haushofes sich befand. Er
sperrte die Thür auf, aber kaum hatte er sie geöffnet, so sah
er, daß in dem Keller Feuer war. Er stand einige Zeit wie betäubt
da. Bald erblickte er in dem Feuer einen Mann mit einem breiten Hut auf
dem Kopfe, und mit rothem ledernen Beinkleide angethan; seine ganze Tracht
sah der hanakischen am ähnlichsten. Der Mann hatte zwei Fässer
vor sich, und einen Goldhaufen auf einem Brette hinter sich stehen. Er
kehrte sich um, nahm eine Handvoll des Goldes und warf es in das eine
Faß, dann eine andere Handvoll und warf es in das andere Faß;
so machte er es fort, bis er alles Gold in die Fässer gebracht hatte.
Alsdann setzte er sich auf eines der Fässer nieder, und betrachtete
den draußen stehenden. Der Wirt zitterte an allen Gliedern, und
wuste nicht was das sei. Zurück wollte er ohne Wein nicht gehen,
damit, wenn seine Gäste sich überzeugen wollten und das Feuer
dann nicht mehr da wäre, er nicht der Furcht überwiesen werden
könnte. Das hätte ihn um so mehr beschämt, da er ein ausgedienter
Soldat war. Er blieb noch eine Zeit lang stehn, dann entschloß er
sich in das Feuer hinein zu gehen. Er sah nochmal den sitzenden Mann an,
dann machte er die Augen zu, und gieng über die Stiege zum Weinfasse.
Als er hier angekommen war, öffnete er den Hahn, und als er glaubte,
der Krug sei voll, sperrte er diesen ab und gieng wieder mit verschlossenen
Augen über die Stiege hinauf. Als er oben angekommen war, betrachtete
er seine Kleider, sie waren aber unversehrt. Er sah nochmal den Mann an,
der noch immer an dem Fasse saß; endlich machte er die Thüre
zu, und gieng in das Zimmer, wo die Gäste harrten. Beim Eintritte
fragten ihn gleich die Diener des Grafen, wo er so lange gewesen. Er aber,
ohne ihnen eine Antwort zu geben, trat an den Tisch, stellte den Krug
auf denselben, und sprach zu ihnen: Wenn ihr mir jetzt für jedes
Seitel Wein einen Dukaten gäbet, so würde ich keinen mehr holen.
Sie betrachteten den Wirt, und erschracken über sein verändertes
Aussehen. Sie fragten ihn dann um die Ursache. Und als er ihnen alles
erzählt was er gesehen hatte, so machten sich alle auf, und giengen
zu dem Keller hin, nur der Wirt blieb zurück. Während sie die
Thür öffneten, hörten sie eine Menge Münzen klingen,
und als sie eintraten, war der Keller leer. Sie giengen mit dem Lichte,
das sie aus der Stube genommen hatten, hinein, konnten aber weder Mann
noch Fässer mit Geld finden. Sie meinten nun, daß dieses Geld
verwunschen sei, und entfernten sich aus dem Keller. Den Wirt aber fanden
sie beim zurückkommen tot am Boden liegen.
Quelle: Mythen und Bräuche
des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 30ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.