30. [Das Fischmännchen]
In der Nähe von Wagstadt (Österr. Schlesien) steht eine Waldmühle,
welche vom Wasser getrieben wird. Vor langen Jahren kam täglich um
Mitternacht ein Männchen in die Mühle; es hatte einen langen
braunen Bart, die Nase und die Ohren der Quere nach, den Mund und die
Augen der Länge nach; es trug eine braune Kutte und eine rothe Mütze.
Wenn man ihm eine Freude machen wollte, so spielte man Karten. Beim spielen
sah er den andern zu, legte seinen Bart auf die Tischplatte und sprach
nicht ein Wort. Als einmal ein Wanderer dort übernachtete, kam das
Männchen wie gewöhnlich und sah den Kartenspielern zu. Der Fremde
erschrack über die seltsame Gestalt so, daß er nach wenigen
Tagen starb.
In der Nähe war ein Teich, der sehr fischreich ist. Eine Frau kam
eines Abends vorbei und sah einen Fisch am Ufer liegen. Da er sich gerade
in das Wasser wälzen wollte, sprang sie schnell hinzu, nahm ihn in
die Butte und gieng vergnügt weiter. Er nahm immer mehr an Gewicht
zu, so daß sie ihn nach einiger Zeit nicht mehr tragen konnte. Sie
setzte die Butte auf den Boden, und in dem Augenblicke sprang das kleine
Männchen heraus, klatschte in die Hände und schrie: Jetzt habe
ich doch einmal ein Weib geprellt.1)
1) Vergl. Kuhn norddeutsche Sagen Nr. 35 u. S.
472. Die häßliche Gestalt und das Wohlgefallen am Kartenspiel
weisen auf den Teufel, mit welchem der in einen Fisch verwandelte Loki
oft zusammenfällt. Vergl. Müllenhoff, holst. Sag. Einleit. S.
49. Vergl. die folg. Sage.
Quelle: Mythen und Bräuche
des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 56ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.