31. [Der in einen Fisch verwandelte Riese]

Im Dorfe Lipnik (bei Biala) lebte ein Fischer, der eines Tages im Bialka-Flusse fischte; da begegnete ihm ein starker Mann, der ihn fragte, wo er hingehe. Der Fischer antwortete ihm, er gehe fischen; darauf wandte sich der große Mann um, und verlor sich bald aus seinen Augen. Der Fischer gieng nun bis zum Flusse, fieng viele Fische, und begab sich dann fröhlich nach Hause. Jener riesige Mann, der früher dem Fischer begegnet war, hatte sich aber in einen Fisch verwandelt und sich von dem Fischer fangen lassen. Als dieser nun mit seinem Fange nach Hause kam, und die Fische auf die Bank legte, hauchte der in einen Fisch verwandelte Mann einen schädlichen Dunst aus, verwandelte sich hierauf in einen Vogel und flog davon. Der Dunst, den der Fisch ausgeathmet hatte, bewirkte, daß der Fischer und dessen Familie gefährlich krank wurden. Eine Tochter des Fischers war jedoch während dieser Zeit abwesend. Als sie nun später nach Hause kam, wunderte sie sich nicht wenig, Vater, Mutter und Geschwister krank zu sehen. Sie fragte nach der Ursache ihrer Krankheit, allein bevor sie eine Antwort erhielt, wurde ihr unwohl, und um sich zu erholen, gieng sie hinaus auf das Feld und holte Futter für das Vieh, Nachmittags trieb sie dann das Vieh auf die Weide. Während sie nun so einsam auf dem Felde war, dachte sie an das Unglück ihrer Eltern und Geschwister und muste bitterlich weinen. Da kam ein Männlein zu ihr und fragte sie theilnehmend was ihr fehle. Sie erzählte ihm daß ihre Eltern und Geschwister krank seien. Das Männlein tröstete sie und versprach ihre Eltern gesund und glücklich zu machen; ferner sagte das Männlein, sie solle sich auf das nahe Gebirg Klimczak begeben, dort werde sie eine Höhle bemerken, in die sie hineingehen solle, er werde einstweilen das Vieh weiden. Anfangs wollte das Mädchen nicht gehen, endlich ließ sie sich bewegen und gieng auf das ihr angewiesene Gebirg und fand die Höhle. Hier begegnete ihr ein Greis, der ihr eine brennende Lampe reichte. Mit dieser betrat das Mädchen die dunkle Höhle. Nachdem sie mehrere Gänge durchwandelt hatte, kam sie zu einer verschlossenen Thüre [Türe]. Rathlos [Ratlos] stand sie nun da; sie wandte sich um und erblickte eine Ente, die einen Schlüssel im Schnabel hielt. Rasch nahm das Mädchen den Schlüssel und sperrte damit die Thüre auf, dann betrat sie einen finstern Gang; kaum hatte sie aber einige Schritte vorwärts gethan, so schloß sich krachend die Thür hinter ihr zu und ein Luftzug löschte ihr das Licht aus. Das Mädchen erschrack heftig, setzte sich nieder und weinte. Während sie schluchzte, entfuhr ihr ein Pfiff. Alsbald erschien ein Berggeist, und fragte sie was sie verlange. Sie bat ihn um ein Licht; der Berggeist verschwand und brachte bald eine brennende Lampe, die er ihr überreichte mit der Ermahnung, die Lampe nicht zu hoch zu halten, sonst könnte der Berg sich entzünden, und dadurch ein großes Unglück entstehen.

Getröstet gieng das Mädchen nun weiter, und kam, nachdem sie mehrere Gänge durchwandelt hatte, wieder vor eine verschlossene, Thüre. Bei dieser stand ein großer, starker Mann, der seinen Kopf unter dem Arme trug. Als das Mädchen diesen Mann erblickte, erschrack sie heftig. Der Mann fragte was sie hier wolle, und sie antwortete, daß ihr ein Männlein befohlen habe, hieher zu gehen, und daß sie ans dem Schnabel einer Ente einen Schlüssel genommen habe. Nachdem der riesige Mann diesen Schlüssel gesehen hatte, öffnete er die Thür und ließ das Mädchen in einen großen Saal eintreten. Kaum war sie jedoch darin, so schloß sich hinter ihr die Thüre, wie vordem, und ein Luftzug löschte ihr Licht. Das Mädchen brach wieder in Thränen aus. Zufälliger Weise rieb sie jedoch ein wenig an der vom Berggeiste erhaltenen Lampe, und nun versammelten sich die Berggeister scharenweise um sie herum und fragten was sie verlange. Sie bat um ein Licht und alsbald wurde es hell. Nun sah das Mädchen, daß sie sich in einem prachtvollen Saale befand, in dem Schätze über Schätze angehäuft waren. Das Mädchen bat die Berggeister um eine Gabe, und diese stellten ihr drei Kisten vor, damit sie sich eine von denselben aussuche. Voll Bescheidenheit wählte sie sich die unansehnlichste Kiste von den dreien und begab sich mit derselben nach Hause. Ungehindert gelangte sie durch die erste und durch die zweite Thüre. Bei der letzteren gab sie dem Berggeiste jene Lampe zurück, die sie früher von ihm erhalten hatte.

Endlich kam das Mädchen wieder zur Herde zurück, welche das Männlein noch weidete. Jetzt öffnete sie die Kiste und fand die grösten Schätze darin. In der Mitte lagen Kräuter. Das Männlein sagte ihr, daß sie diese kochen, und den erhaltenen Thee [Tee] den kranken Eltern und Geschwistern zu trinken geben solle. Das Mädchen bedankte sich bei dem Männlein und trieb eilends das Vieh nach Hause, wo sie von den Eltern mit Sehnsucht erwartet wurde. Sie kochte nun die Kräuter und gab den Thee den Kranken zu trinken. Die Eltern genasen und das Mädchen erzählte ihnen später, wie sie zu den Kräutern und den Schätzen gekommen sei.1)

1) Die Sage ist mir von einem Polen ans Westgalizien (Biala) so erzählt worden; sie scheint aber lückenhaft zu sein.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 59f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.