9. [Der Stangelputzer]
Vor vielen, vielen Jahren lebte ein Bauer, der hatte drei Söhne.
Der jüngste hieß Hans, und galt allgemein als ein dummer Kerl.
Als sie eines Abends beim essen saßen, sprach der Vater: Meine lieben
Söhne, ihr seid jetzt alt genug, um euch in der Welt selber fortzuhelfen.
Geht in die Fremde und lernt etwas; derjenige von euch, welcher am meisten
kann, bekommt das Haus.
Die beiden älteren Brüder giengen mit einander am andern Morgen
fort.
Nun machte sich auch Hans auf den Weg. Als er eine Weile gegangen war,
kam er in einen großen finstern Wald. Hier setzte er sich unter
einen Baum, zog ein Stück Brot aus der Tasche, und fieng an zu essen.
Da kam ein Jäger zu ihm, und sagte: Hans geh' mit mir, ich will dich
etwas lehren. Was willst du mich denn lehren? antwortete Hans. Stangelputzen
sprach der Jäger. Nun, ich gehe mit dir, sagte Hans, dem der Name
des Handwerkes gefiel. Beide giengen nun tief in den Wald hinein. Nachdem
sie die ganze Nacht gegangen waren, kamen sie zu einem großen Hause.
Hansens Begleiter sperrte das Thor auf. und gieng mit ihm in's Haus. Sie
öffneten eine eiserne Thüre, und traten in ein großes
Zimmer. In der Mitte desselben stund ein großer Tisch, an dem ein
dicker Mann saß, welcher ein gebratenes Kalb vor sich hatte. Was
bringst du mir da? rief der dicke dem Jäger zu. Einen Burschen, den
ich im Walde gefunden habe, antwortete dieser. Ich will das Stangelputzen
lernen, sprach Hans. So, das Stangelputzen willst du lernen, sagte der
dicke, nun, dann kannst du bei mir bleiben. Hans setzte sich darauf mit
dem Jäger zu Tische, und nachdem sie gegessen hatten, legten sie
sich schlafen. Des andern Tages sagte der dicke Mann zu Hans: Du willst
ein Stangelputzer werden? ich will dir sagen was das heißt, stangelputzen.
Stangelputzen ist nichts als stelen und rauben.1)
Willst du nun bei mir bleiben, so ist mir's recht; wenn es dir aber nicht
gefällt, so kannst du wieder nach Hause gehen. Weil ich schon hier
bin, so will ich auch bleiben, antwortete Hans. Er blieb also bei dem
Manne, und wurde ein tüchtiger Stangelputzer. Nach einem Jahre nahm
Hans von seinem Lehrer Abschied, um zu seinem Vater zurückzukehren.
Als er nach Hause kam, hatten schon seine Brüder dasselbe in Besitz
genommen. Wo kommst du her? fragten sie. Stangelputzen habe ich gelernt,
antwortete dieser. Der Dorfrichter, welcher Hansens Worte gehört
hatte, ließ diesen vor sich rufen. Weist du denn nicht, sagte er,
daß das Stangelputzen ein verbotenes Handwerk ist? Ich lasse dich
hängen, wenn du nicht zwei sehr schwere Arbeiten verrichtest. Ich
habe ein schneeweißes Pferd; das must du mir stelen. Schon gut,
antwortete Hans. Der Richter ließ nun seinen Schimmel durch sechs
Männer Tag und Nacht bewachen. Hans aber setzte einen großen,
breitrandigen Hut auf, nahm einen langen Stab in die Hand, gieng um eilf
Uhr nachts zur Stallthür und rief hinein: Ich bin der Sunnawendfeu'r-Mann
mit'n breiten Hut; ich habe meinen Schimmel verloren; gebt mir den eurigen,
ich gebe euch dafür einen Pfennig. Als das die Männer hörten,
führten sie das Roß aus dem Stalle, und liefen davon. Hans
aber bestieg das Pferd, und ritt fort. Des andern Tages brachte er den
Schimmel zum Richter. Dieser sprach: Die erste Arbeit hast du gethan;
aber nun must du den Pfarrer und den Schullehrer in einen Sack stecken,
und mir bringen. Morgen früh will ich sie bringen, antwortete Hans.
Der machte sich auf, gieng zum Bache, fieng eine Menge Krebse, und
1) Wenn einer ins Stockhaus kommt, so sagt man in Wien: "den hat man auch stangelputzn gschickt", vermuthlich weil die eingesperrten aus Langeweile mit den Händen an den Eisenstangen hinabrutschen.
klebte ihnen Wachskerzchen auf die Schwänze. Nachts zwölf Uhr gieng Hans auf den Kirchhof, zündete die Wachskerzen an, und ließ die Thiere frei. Dann legte er den Sack, in dem die Krebse gewesen waren auf den Boden, und betrat die Kirche. Hans öffnete die Thüre des Chors, betrat denselben, und begann auf der Orgel sitzend zu geigen. Das hörte der Schullehrer, und lief in die Kirche, um nachzusehen, was es gebe. Hans gieng dann wieder auf den Kirchhof, nahm seinen Sack in die Hand, und rief:
I bin der heilig Petrus.
Heut ist der letzt' Tåg,
morg'n ist der jüngst' Tåg;
wer in Himmel kemma måg,
steig eini in mein' Såck!
Wånn nur da Herr Pfårrer kam,
und sei Geld åll's mitnahm,
und mit mir in Himmel gang.
Als das der Schullehrer hörte, gieng er zum Pfarrer und sprach: Herr Pfarrer, der heilige Petrus ist auf dem Kirchhofe, und ruft:
Wånn nur da Herr Pfårrer kam,
und sei Geld åll's mitnahm,
und mit mir in Himmel gang.
Nur geschwind, geschwind, sagte der geistliche Herr, gib mir meine Kappe,
und ein "Båchsimperl" 1) voll Zwiegulden, sonst kommen
wir am Ende zu spät.
I bitt gar schön, Herr Pfarrer, lassen's mi auch mitgehn, sagte der
Schullehrer. Nun, du darfst mitgehn, aber vergiß nicht, eine Laterne
mitzunehmen, denn es ist sehr finster. O mein lieber Herr, wir brauchen
kein Licht; denn die Engel laufen um die Kirche herum, und verbreiten
einen wunderbar hellen Schimmer, antwortete der Schullehrer.
1) "Båchsimperl" - ein Körbchen aus Stroh, in welchem der Brotlaib sein" Form erhält. Das alte sinwel, simbel heißt (länglich) rund.
Beide giengen nun hinaus, und schlüpften in Hansens Sack, den dieser
schnell zuband. Hans wollte jetzt den Sack davontragen; allein er war
zu schwer. Er schleppte daher den Sack durch dick und dünn, und gelangte
damit nach Hause.
Am andern Morgen trug er ihn zum Richter, und öffnete ihn. Ganz erstaunt
krochen die zwei heraus, und giengen beschämt nach Hause. Das Geld
aber behielt Hans. Der Richter nun befahl Hansen, das Stangelputzen aufzugeben,
und schenkte ihm, weil er seine Sache so gut gemacht hatte, einen schönen
Bauernhof.1)
1) Dieses Märchen erzählt man sich
in Göpfritz in der Wild, unweit Horn in Nied. Österr. Züge
finden wir auch im "Meisterdieb" (Grimm Märch. Nr. 192).
Vergl., Zingerle S. 900, Kuhn 362. In wenigen der bisherigen Überlieferungen
finden wir einen so deutlichen Wuotan, Über Suwend (Sunewend) berichtet
Panzer 1,39. 210 ff. Grimm Myth. 584. Schmeller 3,261. Die Eigenschaft
Odhins als Sonnengott gieng später auf Freyr über. Vergl. Simrock
Mythol. 255.
Quelle: Mythen und Bräuche
des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 27ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.