III. Wuotan und der Tod.
Über die Gestalt des Todes und den Todtenritt.

1. [Einleitende Bemerkungen]

Die antike Kunst stellte den Tod mit dem Schlaf zusammen, und dieses schöne Bild des Brüderpaares hat bekanntlich Lessing in seiner Abhandlung erörtert: "Wie die Alten den Tod gebildet" (Verl. 1769. In Lachm. Ausg. 8 Bd.) Auf Grabesdenkmälern ist er abgebildet als schöner Jüngling oder Knabe, geflügelt oder ungeflügelt, gewöhnlich schlummernd, mit noch lodernder aber gesenkter oder mit umgestürzter und ausgelöschter Fackel - "nullique ea tristis imago!" Die Römer, welche nicht den Schönheitssinn der Griechen hatten, entwarfen schon ein schreckhafteres Bild; ihre Gerippe, die auf manchen alten Denkmälern vorkommen, stellen nicht eigentlich den Tod vor, sondern sind lavae (Less. 67). Ihnen folgend stellt auch die bildende Kunst des Mittelalters den Tod als Gerippe dar (Grimm Myth. 809), wenn er nicht bloß sinnbildlich angedeutet wird durch einen Schädel oder einen Apfel oder durch einen Delfin als hilfreichen Führer ins Reich der Toten.

Es muste die Poesie und der Volkshumor seit dem 14. Jahrhundert zu Hilfe kommen, um die grauenhaften Vorstellungen zu mildern, und dieß finden wir auf den Bildern des bekannten Todtentanzes.

Das Christentum konnte keine Veranlassung geben zu einem schreckhaften Bilde. Christus selbst nennt den Tod einen Schlaf, Johann 11,11: Lazarus unser Freund schläft ( ) und V. 14 fügt er erklärend hinzu: L. ist gestorben; ferner Luk. 8,52 und Matth. 27,52. Diese Stellen scheinen die christlichen Künstler, welche die römischen Bilder nachahmten, übersehen zu haben.

Dem Altertum war der Tod kein tötendes Wesen, bloß ein in die Unterwelt abholendes, geleitendes; der Tod trat als Bote einer Gottheit auf (Gr. M. 799). Seit der Teufel 1) in den Besitz der Hölle gesetzt war, trat er neben den Tod. Der christlichen Ansicht gemäß empfiengen Engel die Seelen der frommen, Teufel die der gottlosen (Gr. M. 814).

Nach der altern Vorstellung der Deutschen war Hel die Todesgöttin, welche die Toten in ihrer Behausung empfängt. Sterben war den deutschen Heiden wie den Christen: zu Gott fahren. Als Boten Odins traten zuerst die halbgöttlichen Valkyrien auf, um die im Kampfe gefallenen zu empfangen. Das halbgöttliche Wesen des heidnischen Todes ist dem der Elbe, Hausgeister und Genien nicht unverwandt (Gr. M. 814).

Im Volksglauben des deutschen Mittelalters finden wir den Tod als männliches Wesen, wie bei den Griechen. An die Idee der Botschaft und des haufenweise wanderns knüpften sich damals, als Spielleute Boten zu sein pflegten, heitere Vorstellungen, und daher entstunden die berühmten Bilder des Basler Todtentanzes. 2) Auf dem ältesten Bilde (in Kleinbasel 1312) ist der Tod kein Gerippe, sondern fleischig aber hager 3) (s. W. Wackernagel in Haupts Zeitschr. für deut. Altertum, IX. Bd. 1853, S. 363 u. a.)

1) Das Wort ist ursprünglich weder deutsch noch römisch, im griechischen hieß ein Verleumder
2) Die Litteratur bei Goedeke, Grundriß S. 381.
3) Nach einem tiroler Märchen (Zingerle 2,43) ist der Tod "dürr," und zwar deshalb, weil er 7 Jahre lang am Ofen gedörrt ist. Vergl. oben Nr. 22.

Auf einem Holzschnitte der Koburger Bibel (gedr. 1483), zur Verbildlichung der Offenbarung 6,8: "Und ich sah ein fahl (bleiches) Pferd, und der darauf saß, des Name hieß Tod," sitzt der Tod auf einem einhersprengenden Pferde; er hat die Figur eines nackten Mannes, durchaus nicht eines Gerippes; nur die Brustrippen treten stärker hervor, die Augen sind kleine Höhlen ohne Brauen, der Kopf ist fast ganz kahl; in der rechten Hand trägt er eine Sense, in der linken ein Schwert, das an der linken Seite des Rosses schräg herabhängt. Die Idee der Todtentänze, bei welchen der Tod auch als Geiger vorkommt, scheint dem 14. und 15. Jahrhundert anzugehören. Nach der Vorstellung des Mittelalters war das sterben ein Tanz, zu welchem der Tod den Menschen aufspielt.1) Wie der Volkshumor sich an den Teufel wagt, so auch an den Tod, der mit dem Teufel so häufig zusammen gestellt wird.

Auch der Teufel erscheint in der Volkssage als tanzend (Rochholz, Aarg. Sag. 2,285). "Tod und Teufel" ward eine allitterierende Redensart; Tanz und Teufel gehen nach den Mönchspredigten immer zusammen. Keisersberg sagt in seinen Predigten über das Narrenschiff (1520 S. 128) sogar: "der tantz gat auch in circkelmaß, das ein Figur des teuffels ist." (Vgl. auch Seb. Frank Sprichw. 1541 S. 65.)

In einem Volksliede aus dem Westerwald (Kretschmer II. Nr. 47) muß es auffallen, daß der Geiger, der in der Walpurgisnacht schönen Frauen aufspielt, einen Buckel hat. Die Frauen begehren, daß der
Fiedler einen feinen Tanz geige, denn sie feiern die Walpurgisnacht.

1) Auch nach der mystischen Auffassung lockt Christus als geigender Spielmann die liebende Seele zum Tanze.

Der Geiger strich einen fröhlichen Tanz.
Die Frauen tanzten den Rosenkranz,
und die erste sprach: "mein lieber Sohn,
du geigtest so frisch, hab nun deinen Lohn."

Sie griff ihm behend unter's Wamms sofort
und nahm ihm den Höcker vom Rücken fort:
"So gehe nun hin, mein schlanker Gesell,
dich nimmt nun jedwede Jungfrau zur Stell."

Dasselbe geschieht in einer Aachner Volkssage bei J. Müller (Aachener Sag. und Lg. 1858 S. 122), wo in der Quartembernacht dem Fiedler zum Lohne der Höcker weggenommen wird.

Das Hechsenelement und das elbische berühren sich, und der Teufel erscheint hier als ein "krummer Wicht" (Grimm Myth. 409, 410), wie er denn überhaupt in allerlei Gestalten erscheint.1) Im Geschlecht der Wichte und Elbe, das manche teuflische Züge hat (Gr. M. 966), gibt es viel ungestaltes; alle schwarzen Elbe sind häßlich und mißgestalt (Gr. Myth. 418); Zwerge haben oft Höcker und unförmliche Füße.

1) Wir machen hier aufmerksam auf die Erläuterung des Sprichwortes "wirt geschehen, wenn der Teufel von Ach kompt" bei Agricola (Ausg. 1529, Nr. 301.)


Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 65ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.