7. [Weine nicht so sehr]

Es war einmal in einem Orte ein "Dirnderl"; dieser starb ihr Herzliebster. Über das hat sie gar viel geweint, und kein Mensch hat sie trösten können. Einige Zeit nachher saß sie einmal auf dem "Gassenbankel" vor ihres Vaters Haus und nähte an einem blauen "Fürtuch", welches sie sich machte. Sie wollte gerade die "Bandel" annähen, als plötzlich eine schöne Frau daher kam, welche fragte, was sie da mache. Nachdem sie es der Frau gesagt hatte, entgegnete ihr diese, sie möge die Bandel liegen lassen und nicht annähen; es werde in der folgenden Nacht um zwölf Uhr ihr Liebster kommen und sie abholen; dann solle sie das "Fürterl"1) ohne Bandel nehmen und bloß "hineinstricken", daß es halte. Darauf ist die schöne Frau wieder weg gewesen, wie verschwunden. Als die Mitternacht gekommen war, erschien richtig vor dem Fenster des Dirnderl ihr Liebster, klopfte an, und sie muste mit ihm gehen. Sie that [sic] mit dem "Fürterl", wie es ihr die schöne Frau gesagt hatte und strickte es bloß hinein. Dann setzte sie ihr Liebster zu sich auf sein Roß, - denn er war reitend gekommen - und nun gieng es fort im Galopp! - Der Mond schien spiegellicht. Als sie so eine Weile geritten waren, flieng [sic] der Reiter plötzlich an:

Wie scheint der Mond so hell,
wie reiten die Toten so schnell!
Dirnderl fürchst dich?

Sie entgegnete: Nein! - Nach einer Weile fieng er dasselbe zum zweiten und dritten Mal an, worauf sie immer mit "Nein" antwortete.

Endlich waren sie zum Freithof [Friedhof] gekommen; beide ritten hinein; er sprang vom Pferde herab und riß auch das Dirnderl herab. Darauf stieg er in ein Grab und wollt auch das Dirnderl mit hineinziehen. Da er sie aber beim Fürtuch gefasst hatte, so riß er dieses, welches nachließ, mit sich hinein. Das war ihr Glück, denn das Fürtuch zerriß er in tausend Fetzen; und das wäre ihr selbst geschehen, hätte sie dasselbe umgebunden gehabt. Ohnmächtig fiel sie nieder.

Des andern Tages, als ihre Leute das Mädchen nicht fanden, giengen sie dasselbe suchen. Sie wusten, daß es öfters auf den Freithof [sic] gegangen war, und schauten deshalb dort nach; und richtig fanden sie das Mädchen dort noch liegen. Als sie es zur Besinnung gebracht hatten, erzählte es alles, was ihm begegnet war, worüber die Leute sich großmächtig verwunderten. In der Nacht darauf, als das Mädchen schon schlafen gegangen war, kam wieder die schöne Frau zu ihr und sprach: "Siehst du, es war dein Glück daß du mir gefolgt hast; laß dir das zur Warnung sein, und weine ein andermal nicht mehr so, wenn eines stirbt; denn dieser hat einen gar schweren Weg machen müssen!" Darauf sagte sie noch, daß sie unsere liebe Frau sei, und verschwand.

1) Fürterl, dim. von Fürtuch (Schürze), Wenn einem Mädchen das Fürtuch herabfällt (nachdem die Bandl aufgegangen), so sagt man, ihr Schatz werde untreu. Sollte dieser Aberglaube in einer Beziehung zum obigen stehen?


Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 77ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.