18. [Der schwari Wagen in Wien]

In Wien sind diejenigen, die man als Kinder vor den "schwarzen Wagen" gewarnt, nicht völlig Greise. Mit dem schwarzen Wagen aber hatte s folgende Bewandnis. Nicht zur Stunde der Mitternacht, wo die gewöhnlichen Gespenster ihren Umgang halten, sondern um vieles später, nämlich zu rZeit, wo, nach Eintritt der Nacht- und Tagscheide, Mensch und Thier der tiefsten Ruhe genießen, und ein markdurchfrostender Windzug durch die einsamen Straßen streicht, rasselt es plötzlich von fern her über das Granitpflaster der Stadt, daß selbst der behaglichste Schläfer halb erwacht aufstönt und horcht, was da los sein möge. Und näher und näher braust es, und rumort zwischen den Häusern fort, daß die Wände schüttern und die Fenster klirren. Das ist der "schwere Wagen". Jedermann, der ihn hört und wach genug ist, um sich seiner bewust zu sein, fühlt die Begierde, sich zu überzeugen, wer denn zu so unheimlicher Stunde mit solchem Ungestüm durch die Straßen jagt; namentlich spüren die Kinder viele Lust da zu. Allein, statt empor zu springen und an's Fenster zu eilen, ehe der Wagen vorüber gerollt, hüllen sie sich lieber um so fester in ihre Decke, denn sie erinnern sich mit Schaudern dessen, was die Kindsmagd längst ihnen eingeprägt hat, - "Der schwere Wagen ist ein Fuhrwerk, worauf der leibhafte Satan selber sitzt. Wage sich ja niemand an's Fenster, wenn er vorüberfährt, denn eine Maulschelle so derber Art, daß ihm zeitlebens die fünf Finger des Bösen auf der Wange eingebrannt blieben, wäre die geringste Strafe für seine Neugierde. Manchem aber ergieng es noch schlechter, indem ihm der Kopf entweder ganz weggerissen, oder wenigstens so verdreht wurde, daß ihm das Gesicht nach rückwärts, das Genick nach vorne stand!" - Man läßt daher den "schweren (oder schwarzen) Wagen" lieber unbelauscht vorüberjagen, und sucht den Schreck, den sein rasseln eingejagt hat, zu verschlafen.

*

Von I. Gabr. Seidl, einem gebornen Wiener. Der "markdurchfrostende Windzug" bestätigt wieder, was J. Grimm (Myth. 836) von der Personifikation der Elemente sagt: "Wuotan erscheint als alldurchdringende Luft, als Himmel und Erde durchziehendes rauschen, wie in den Worten wuot und vôma ermittelt ist." Wuotan, das verbreitetste der Elemente (die Luft) repräsentierend, wird als der alldurchdringende Geist der Natur aufgefaßt. Er hält hier mit dem schweren Wagen seinen Umzug wie an der Spitze des wütenden Heeres. Vergl. Simrock's Mythol. 206, 234, 253. 254, woraus hervorgeht, daß diese Erscheinung nicht auf den Sohn (Donar) sondern auf Wuotan selbst zu beziehen ist. Derselbe ist auch der Hojemo und der Aschama bei Panzer II. 110. Vergl. Rochholz Aarg. Sag. Nr. 84, 166, b.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 97ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.