39. [Die Geschenke der Querre]
In Dittersbach (bei Friedland in Böhmen) erzählt man sich,
daß die Querre häufig Taufemähler und Wöchnerinnen
besuchen. Der Wöchnerin allein sichtbar halten sie ihr Mahl unter
dem Ofen oder unter dem Bette, und dann bringen sie der Wöchnerin
immer ein Stück Zwieback oder dergleichen zum Bette.
Eine Wöchnerin, die noch das Bett hütete und allein in der Stube
war, hörte einmal ein ungewöhnliches Geräusch in ihrem
Zimmer. Zu ihrem erstaunen sieht sie, daß in der Gegend des Ofens
unten an der Wand eine kleine Öffnung ist und daß daraus ein
kleines graues Männchen hervorkommt, und mit vielen Grüßen
ihrem Bette sich naht. Es redet sie mit Höflichkeit an und erbittet
sich die Erlaubnis, ob nicht eine Gesellschaft ein Gastmahl in dieser
Stube halten dürfe, man wolle dafür erkenntlich sein.
Die Wöchnerin, äußerst neugierig auf diese Gesellschaft,
ertheilt die Erlaubnis und das Männchen entfernt sich. Bald darauf
hört die Wöchnerin ein neues noch größeres Geräusch,
und das kleine graue Männchen erscheint wieder an der Spitze vieler
kleiner Wesen, die wie geschäftige Ameisen kleine Tische und Stühle
und ganze Körbe voll köstlicher Eßwaaren und Speisen durch
jene Wandöffnung hereinbringen und die Tische damit besetzen. Dann
erschallen Töne aus der Ferne, sie nähern sich allmählich
und es treten nun ebenfalls durch jene Öffnung mehrere Spieler mit
Saiten- und Blasinstrumenten ein, und ein langer bunter Zug von lauter
solchen Querren schließt sich an. Die Gesellschaft nimmt Platz an
den Tischen und hält ein lebhaftes, vergnügtes Mahl unter der
angenehmsten Tischmusik. Nach aufgehobener Tafel ertönt eine muntere
Tanzmusik und schon fangen die kleinen Leutchen an, bunt untereinander
sich zu drehen und zu schwenken, als plötzlich ein neues Zwerglein
in's Zimmer gestürzt kommt, die Hände über dem Kopf zusammenschlägt
und voller Betrübnis ausruft:
"O große Noth, o große Noth!
Die alte Mutter Pump1) ist tot!" -
Wie ein Donnerschlag tönt dieß den kleinen Gästen in
die Ohren; so schnell als möglich nimmt jeder die Flucht, alles was
von Sachen da ist, wird eiligst hinweggeschafft und zwar alles zu der
Öffnung wieder hinaus, wo es hereingekommen war.
Die Stube war nun wieder leer und einsam, nur jenes kleine Wesen, das
früher um die Erlaubnis gebeten hatte, war noch zu sehen; es kam
auf die Wöchnerin zu, erzählte ihr, daß der plötzliche
Tod der Ahnfrau ihres Stammes sie in Schreck und große Betrübnis
versetzt habe; und daß sie nun sehr unglücklich werden könnten.
Es bedankte sich dann höflich für den erlaubten Zutritt in der
Wochenstube, und schenkte der Wöchnerin im Namen der ganzen Gesellschaft
zum Danke dafür drei Gaben, nämlich: einen goldenen Ring, einen
silbernen Becher und ein Weizenbrötchen. Die drei Dinge, sagte das
Männchen, seien von großer Wichtigkeit, denn so lange sie alle
drei vereint in der Familie blieben, würde sie immer größer,
angesehener und reicher werden. Es müsten daher alle drei als ein
Heiligtum betrachtet und sorgfältig aufbewart werden; der Ring aber
solle allemal im Geschlechte des ältesten Sohnes verbleiben und von
dessen Gemalin getragen werden. Hierauf empfahl sich das Männchen
höflichst wieder und verschwand durch die Öffnung und diese
mit ihm.
Der Wöchnerin war es, als ob sie aus einem Traume erwache, und sie
würde auch alles wirklich für Traum gehalten haben, wenn nicht
die drei Geschenke ihr so in die Augen geglänzt hätten.
Es ward nun die ganze Familie, der ein solcher Glücksstern aufgegangen
war, zusammenberufen, ihr der ganze Vorfall erzählt und endlich ward
gemeinschaftlich beratschlagt, wie man jene drei Geschenke als Unterpfänder
eines ununterbrochenen künftigen Glückes des Geschlechts sich
am besten sichern könne. Man fasste den Entschluß, einen festen
steinernen Turm zu erbauen und den silbernen Becher und das Weizenbrötchen
tief in seinem Innersten zu verwaren, so daß niemand im Stande wäre,
diese heilbringenden Gaben dem Stamme zu entwenden. Den Ring aber trug
die, der er geschenkt worden war, unablässig an ihrer Hand, Nach
ihrem Tode erbte er sich der Vorschrift gemäß, von Glied zu
Glied fort, und das Geschlecht war seit dem Besitze dieser Zaubergaben
immer größer, reicher und angesehener geworden.
Wie aber der Mensch nur allzu oft an seinem Unglücke selbst schuld
ist, so gieng es auch hier. Es war einst eine Besitzerin dieses Ringes
so unvorsichtig ihn zu verlieren, und alles nachsuchen ungeachtet war
er nicht zu finden. Trostlos brach die Familie in Klagen aus und fürchtete
nun den Zorn jener Wesen, deren Huld sie sich bisher zu erfreuen hatten.
Und dieß nicht ohne Grund; denn ein heftiges Ungewitter erhob sich
bald über jenem alten Turme, der als Schutzwehr dieser Geschenke
gleichsam der Stammhalter des ganzen Geschlechtes gewesen war, spaltete
ihn mit einem furchtbaren Blitz und Gekrach von oben bis unten, und verschlang
in Nu die verehrten Heiligtümer. Die Verheißung des Überbringers
jener Geschenke traf leider ein; denn so sehr dieses Geschlecht während
des ungestörten Besitzes begünstigt gewesen war; so verlassen
ward es, als die Güter ihm verloren giengen. Der Wohlstand der Familie
verminderte sich von Jahr zu Jahr.
1) S. Grimms Myth. 422 Anm. und Kuhn Nd. Sag. Nr. 189, 1.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 218ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.