41. [Der dankbare Zwerg]

In Brüx (am Erzgebirge in Böhmen) lebte einst ein alter Bergmann Namens Sepp. Dieser führte mit seiner Frau Margarethe ein fast dürftiges Leben. Eines Tages sprach die Frau: Ich weiß, mein lieber, was uns fehlt. Ich auch - erwiederte Sepp - uns fehlt nichts als Geld. Ach! rief Margarethe, Geld macht uns nicht allein glücklich, denn ich habe heute Nacht geträumt, daß wir durch Kinder glücklich werden und darum laß uns den lieben Gott bitten, daß er uns bald einen Sohn schenke. Auch sagte meine Großmutter immer, daß Kinder Segen in's Haus bringen. Sepp fand in dieser Rede etwas wahres und schloß nun seinen Wunsch stets in das Abendgebet ein. Seit dieser Zeit wurde er auch heiterer, und weil er nun mit Freuden arbeitete, so gieng ihm daher auch die Arbeit besser von der Hand. Eines Tages gieng er vergnügter als je aus seiner alten kleinen Hütte, wanderte getrost dem Silberschachte zu und fuhr den dunklen Schacht hinab, um sein mühevolles Tagewerk zu beginnen. Als er nun mit seinem Fäustel frisch und kräftig auf das harte Gestein loshämmerte, trat plötzlich vor ihn ein kleiner brauner Berggeist und sprach zu ihm: Sepp, in einem Jahre wirst du mehr haben, als ihr euch beide gewünscht habet! Sepp war ganz überrascht und in demselben Augenblicke war das Männchen verschwunden. Als Sepp nun nach Hause kam und das Begebnis erzählte, sagte ihm seine Magarethe, daß sie im Bodenthale gewesen und daß ihr dort ebenfalls ein Zwerglein erschienen sei und ihr dasselbe gesagt habe. Die beiden Leute waren nun sehr vergnügt, obgleich sie die Worte nickt recht verstunden, welche ihnen so geheimnisvoll mitgeteilt waren. Das Jahr war noch nicht ganz vergangen, als Sepp von einem Marsche über das Erzgebirge zurückkam und das Bodenthal betrat. Es fieng schon an zu dämmern, als er plötzlich einen dumpfen Fall in ein nahes Wasser vernahm und gleich darauf eine kindliche Stimme hörte, welche um Hilfe flehte. Er sprang über einige Felstrümmer und erblickte in der Dunkelheit die Umrisse eines kleinen Weihers, und als er näher hinzutrat, sah er einen etwa sechs Jahre alten Knaben mit den Wellen kämpfend. Sepp zog das Kind aus dem Wasser und fragte es dann, wohin es gehöre. Das Kind erzählte nun vieles von einem reichen Herrn, von goldenen Kleidern und von vielen Dienern, aber Sepp konnte aus dieser verworrenen Erzählung nicht klug werden und indem er vor sich hin murmelte: Vielleicht bist du das kleine Söhnchen, welches mich glücklich machen soll - nahm er das Kind auf seine Arme und beschloß es seiner Margarethe zu bringen. Eiliger als früher wanderte er nun heimwärts und langte in tiefer Nacht bei seiner Hütte an. Er trat hinein und malte sich schon im Stillen die Freude aus, die seine Frau haben würde, wenn er ihr das eben erlebte erzählte. Aber wie erstaunte er als er in dem Stübchen alles in gröster Geschäftigkeit fand. Gott hatte die Bitten der beiden frommen Leute erhört und sie während Sepps Abwesenheit mit zwei Knaben auf einmal beschenkt. Die fröhliche Mutter war nun aber in großer Noth [Not], denn sie wüste nicht was sie mit den beiden Knaben anfangen sollte. Sie hatte nur ein Hemdchen; das zog sie dem einen Knäbchen an, und legte das andere nackt in das Bett. Sepp war in einiger Verlegenheit, indem er dachte, daß er mit einem dritten Kinde hier wahrscheinlich nicht gelegen komme. Margarethe betrachtete den Knaben, welchen der Vater mitbrachte, mit großen Augen; sie fand das Gesicht des sechsjährigen Knaben sehr alt und als sie ihn längere Zeit mit ängstlichen Blicken betrachtet hatte, stieß sie plötzlich einen Schrei aus und drängte zugleich ihren Mann mit dem vermeintlichen sechsjährigen Kinde der Thüre zu, indem sie rief: Fort! fort! ein Zwerg! fort mit dem Zwerge! - Dann sprang sie hurtig zu den beiden Söhnchen und beugte sich über dieselben hin, gleichsam um sie zu schützen. Sepp stand verwundert an der Thür [Tür], sah seinen Findling genau an und merkte bald, daß der Knabe wirklich kein Kind von sechs Jahren sein könne. Im Nu sprang der Zwerg dem Sepp vom Arme, ließ ein Päckchen fallen und schlüpfte zur Thür hinaus.

Margaretha immer noch ängstlich bat ihren Mann hinaus zu sehen ob der Zwerg wirklich verschwunden sei. Als Sepp sie beruhigt hatte, rief sie ihn zu dem Bette und sprach: Sieh doch die kleinen Bausbacken! Gott gab uns zwei Söhnchen statt eines, aber das eine muste ich leider nackt in's Bett legen und dennoch gebe ich keines von beiden wieder her und wenn wir auch die ganze Nacht hindurch für unsere Kinder arbeiten müssen. Dann setzte sie hinzu: Es ist nur gut, daß der Zwerg fort ist; aber warum lieber Sepp, brachtest du ihn herein, indem du ja weist, daß die Zwerge die kleinen Kinder stehlen und dafür elende, gebrechliche Wesen in das Bett legen. - Da sieh nur unsere lieben Bübchen; wenn der Zwerg eines genommen hätte, ich wäre trostlos! Sprich nur gleich die Taufworte über sie aus, dann können ihnen die Zwerge nichts böses mehr thun. Sepp erfüllte den Wunsch der besorgten Mutter und taufte die Kinder. Jetzt erst war es ihm möglich zu erzählen, wie er zu dem Zwerge gekommen sei. Als Margaretha endlich alles wuste, meinte sie: Ja wenn sich die Sachen so verhalten, wie du mir eben erzählt hast, so hätte uns freilich der Zwerg nichts gethan [getan], auch sah er braun aus und braune und weiße Zwerge thun [tun] dem Menschen kein Leid an, aber die schwarzen1) - vor denen fürchte ich mich! Du must auch nicht so ängstlich sein, antwortete Sepp und hob dabei ein Päckchen auf, das in der Stube am Boden lag. Was ist das? fragte er, und indem er es öffnete, fand er in dem Päckchen sechs Hemdchen, sechs weiße Tücher, sechs Röckchen und zwei Perlenschnüre, an welchen ein Kräutlein hing. Das hat der Zwerg gebracht, rief Sepp, und Margarethe dankte dem guten Zwerge, dem sie unrecht gethan habe. Dann rief sie freudig : Auch das Kraut Orant! und nahm schnell die Perlenschnüre und hing sie ihren Kindern um den Hals, indem sie leise für sich sprach: Da, ihr geliebten Buben, nun thut [tut] euch kein schwarzer Zwerg etwas, denn das Kraut Orant, welches an den schönen Perlenschnüren hängt, schützt euch, bis der Pfarrer kommt und euch ordentlich tauft.2)

Nach acht Tagen sollte der Pfarrer zur Taufe kommen und drei Bergleute, die in der Nähe wohnten sollten zu Gevatter stehen Sepp wuste aber noch nicht, woher er Speisen nehmen sollte, um seine Gäste nach der Taufe bewirten zu können. Sepp sprach daher zu seinem Weibe: Wenn ich nur den Zwerg wieder erwischen könnte, der würde uns gewis helfen; aber es wird vergebens sein ihn zu suchen, denn die Zwerge sind nur sichtbar, wenn sie ihre Hütchen oder Nebelkappen verloren haben. Sepp wollte weiter sprechen, aber plötzlich that sich die Thür auf und in das Stäbchen flogen sieben Brote, Fleisch und zwei große Säcke, und dann schlug die Thür wieder von selbst zu. Nun war ihnen geholfen. Auch in den folgenden Jahren wurden sie und ihre Kinder von unsichtbarer Hand oft beschenkt.

1) Vergl. Glimm Myth. 414.
2) Kuhn, nordd. Sag. S. 481 (266), Sag. Anm. 106. Gr. Myth. 1164.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 222ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.